Die neuen Vergütungsregeln: Wenn keiner den Mund aufmacht, bleibt alles, wie es ist
Es gibt mehr Geld – das wurde den hauptberuflich freien Tageszeitungsjournalisten mit den Vergütungsregeln für freie Journalisten an Tageszeitungen versprochen. Seit 1. Februar 2010 sind sie in Kraft, doch auf den Abrechnungsbelegen ist in der Regel nicht zu erkennen, dass die Verlage die neuen Honorare, die ihr Dachverband, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e. V. (BDVZ), gemeinsam mit dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) und dju/Verdi ausgehandelt hat, auch zahlen. Das liegt zum Teil daran, dass die Vergütungsregelung – anders als ein Tarifvertrag – nicht automatisch mehr Geld bringt. Jeder und jede Freie muss individuell dafür sorgen, dass in der Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber das neue Regelwerk gilt. Doch bislang traut sich kaum jemand – so die Rückmeldungen an uns –, in den Redaktionen nachzufragen, ob und wann die neuen Vergütungsregeln bei der Berechnung der Honorare angewandt werden. Und noch weniger Freie wagen es, offensiv darauf zu drängen, dass die von ihnen gelieferten Texte nach den neuen Sätzen honoriert werden. Die Rückmeldungen von denjenigen, die ihre Auftraggeber auf die neuen Regelungen hingewiesen haben, sind bisher wenig ermutigend: In vielen Redaktionen weiß man nichts von ihnen oder hat von der Verlagsseite keinen Hinweis, ob und wie die Neuregelung umgesetzt werden soll. De facto blitzen die, die nachfragen, ergebnislos ab, und alles bleibt wie es ist. In einem Einzelfall berichtete eine Kollegin gar von einem ausflippenden Chefredakteur, der schon die bloße Nachfrage mit einem Entzug aller künftigen Aufträge quittierte. Sollte man deswegen klein beigeben und nicht auf die Einhaltung der neuen Vergütungsregeln pochen? Wir sagen: Auf keinen Fall. Die Verlage haben die Regelungen mit beschlossen. Es sind ihre Spielregeln, auf die die freien Mitarbeiter sie hinweisen müssen. Das muss im Rahmen einer professionellen Zusammenarbeit möglich sein. Ein Verhältnis von Auftraggeber und Auftragnehmer, das nur auf Angst, Abhängigkeit und Ausbeutung beruht, kann keine Grundlage für die Lebens- und Erwerbsplanung eines professionellen Journalisten sein. „Dann geh ich lieber putzen“, sagte vor kurzem eine Kollegin. Nun ja. Wie also können Freie dafür sorgen, dass sie von den Verbesserungen profitieren, die die neuen Vergütungsregelungen eigentlich bringen sollten? Eines ist klar: Ohne etwas Mumm geht es nicht. Wer nicht nachfragt, bei dem bleibt alles, wie es ist. Automatisch verbessert sich nichts. Und dass man auf die Erfüllung der Vergütungsregeln beharren sollte, ist auch für die Freischreiber, die als Verband an ihrer grundsätzlichen Kritik an diesen Regelungen fest halten, unstrittig. * Aus Sicht von Freischreiber ist es sinnvoll, dass Freie die Redaktionen koordiniert ansprechen. Wenn statt einem vier oder fünf Freie ein Problem benennen, kann es die Redaktion nicht mehr als Befindlichkeit oder individuelles Querulantentum eines Einzelnen abbürsten. Der Druck der Auftraggeber, reagieren zu müssen, ist größer als wenn jeder für sich nachfragt – vor allem, wenn die Anfragenden auch noch öffentlich machen, dass sie einfordern, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, und andere Freie von ihrem Anspruch erfahren. Damit Freie in Absprache miteinander die Anwendungen der neuen Vergütungsregeln durchsetzen können, ist es unabdingbar, dass sich diejenigen, die für ein Medium arbeiten, vernetzen und absprechen, wann sie in welcher Form ihr Anliegen vorbringen wollen. Das muss nicht nur regional geschehen. Es kann auch sinnvoll sein, z.B. alle Freien, die man bundesweit kennt, weil sie etwa im selben Fachgebiet arbeiten, anzusprechen, um herauszufinden, welche Erfahrungen sie mit welchem Auftraggeber gemacht haben. Wir helfen gerne, indem wir Kontakte sammeln und Euch, wenn ihr Euch meldet, miteinander in Verbindung bringen, damit niemand allein seinem Auftraggeber gegenüber treten muss. * An unserer Kritik an den Vergütungsregeln halten wir nach wie vor fest: Entlohnungssätze, an denen sich im Zweifelsfall auch Gerichte orientieren, als „angemessen“ zu definieren, von denen man als professioneller Journalist nicht leben kann, ist ebenso wenig im Interesse der freien Journalisten wie die in den Vergütungsregeln festgeschriebene kostenlose Internetnutzung der Texte durch die Verlage. Sie erlaubt den Verlagen zwar punktuell weniger als die alten Buy-Out-Verträge. Aber im entscheidenden Punkt Internet, dem Geschäftsfeld der Zukunft, wird der alte Irrsinn, dass Verlage unsere Texte kostenlos verwenden können, eben nicht gestoppt. Da die Regeln nun aber gelten, sollte man pragmatisch mit ihnen umgehen und so viel wie möglich an Honoraren heraus holen. Dabei helfen wir gerne und arbeiten, wenn es darum geht, Informationen auszutauschen oder gemeinsam gegen schwarze Schafe unter den Verlagen vorzugehen, konstruktiv mit den anderen Journalistenverbänden zusammen. Hilfesuchende wenden sich vertrauensvoll an alle Vorstandsmitglieder.