Christian Jungblut: „Was dem einen seine Eule, ist dem anderen seine Nachtigall“
Christian Jungblut ist ein Mann, der der Gefahr ins Gesicht zu blicken bereit ist. In seinem Buch „Die riskierte Katastrophe“ berichtete er etwa von seinem Undercover-Einsatz auf einem Supertanker. In der vergangenen Woche hat er es mit einem Supertanker zu Lande aufgenommen: Vor dem Hamburger Landgericht stritt er mit dem Magazin GEO um das Recht am eigenen Stil. Gegenstand der Auseinandersetzung war ein Stück, das mit der Überschrift „Plan B“ in der Dezemberausgabe 2009 veröffentlicht worden war und von den Folgen des Klimawandels in den Niederlanden handelt. Jungblut gewann. Wolfgang Michal berichtet über den Fall bei MAGDA, Stefan Niggemeier in seinem Blog. Hier kommt nun der Autor selbst zu Wort. Nachtrag, 16.30 Uhr: Stefan Niggemeier hat das Urteil veröffentlicht. Herr Jungblut, Sie haben für das Magazin GEO ein Stück verfasst, unter dem Sie nach der Redigatur nicht mehr Ihren Namen sehen wollten. Der Chefredakteur Peter-Matthias Gaede schrieb in einem Kommentar beim Kollegen Stefan Niggemeier, Sie seien ein Einzefall, 99,9 Prozent aller Autoren seien mit der Bearbeitung durch die GEO-Redaktion einverstanden. Sind Sie tatsächlich nur ein Einzelfall? Nein, bestimmt nicht. Aber darauf möchte ich im Moment nicht näher eingehen. Nur eines dazu: Natürlich ist es ein Akt, gegen eine Redaktion gerichtlich vorzugehen. Ich habe das nur getan, weil die Eingriffe in Texte in letzter Zeit immer schlimmer wurden. Mit der Bearbeitung des Holland-Textes war für mich ein Punkt erreicht, der nicht mehr akzeptabel war. Bei der Chefredaktion war aber keine Bereitschaft vorhanden, darüber zu sprechen. Für die meisten Kollegen ist es natürlich ein Problem, sich auf eine solche Art gegen eine Redaktion zu wenden, weil sie verständlicherweise Angst haben, dass sie danach nie wieder einen Job bekommen. Warum wollten Sie diesen Fall bis zu einer gerichtlichen Entscheidung führen? Ich habe mich irgendwann gefragt: Mensch, kannst du dir eigentlich selbst noch ins Gesicht gucken? Was lässt du alles mit dir machen? Ich war einfach kühl abserviert worden, als ich monierte, dass der Text so nicht in Ordnung sei. Es geht in meinen Augen auch gar nicht darum, ob einer mit der Bearbeitung seines Textes unzufrieden ist und 99,9 Prozent zufrieden. Selbst wenn nur ein einziger unzufrieden ist, sollte man ihn ernst nehmen. Das ist in diesem Fall nicht geschehen. Und wenn dann ein Gericht sagt, dass das nicht hätte geschehen dürfen, sollte man sich das zu Gemüte führen. Viele freie Journalisten beschweren sich darüber, dass sie nicht das Gefühl haben, mit Redakteuren auf Augenhöhe an ihren Texten arbeiten zu können. Was ist die Ursache für dieses Missverhältnis? Ein großes Problem ist das gegenseitige Unverständnis. Die Redakteure haben einen sicheren Posten, beneiden aber die Freien um deren Freiheit, nicht jeden Morgen zur Arbeit antanzen zu müssen. Auf der anderen Seite beneiden die Freien die Festangestellten um deren sicheres Einkommen und um den Vorteil, bei der Bearbeitung eines Textes meist am längeren Hebel zu sitzen. Die Freien haben nicht so viele Machtmittel und müssen sich meistens beugen. Geht es bei Auseinandersetzungen um eine Redigatur also gar nicht um das Stück selbst? Jein. Es wird ja immer argumentiert mit „Das ist schlechtes Deutsch“ oder „Das ist nicht spannend.“. Das sind aber Parameter, die sich jeder Bewertung entziehen. Man kann einen Text nicht bewerten wie eine Schraube. Bei der kann ich mit einem Mikrometer genau messen, ob sie passt. Das können Sie mit einem Text nicht machen. Da spielen viele subjektive Bewertungsmaßstäbe hinein. Was dem einen seine Eule, ist dem anderen seine Nachtigall. Der eine findet das Stück gut, der nächste findet es beschissen – und beide haben recht. Man muss einfach akzeptieren, dass es so ist. Es gibt natürlich Autoren, die für sich beanspruchen können, eine größere Menge anzusprechen. Aber das heißt auch noch nicht, dass derjenige ein Wahnsinnsschreiber ist. Jemand, der nur fünf Leser anspricht, kann ein genauso guter Schreiber sein. Redakteure argumentieren oft, dass durch ihre Arbeit die Texte meistens besser werden. Autoren reklamieren andererseits für sich, eine eigene Handschrift zu haben, die nicht kaputt gehen darf. Wer hat recht? Beide. Natürlich ist eine Redaktion wichtig, ich habe deren Existenzberechtigung nie angezweifelt. Ich finde es gut, wenn jemand mein Stück gegenliest und sagt: Hör mal, das habe ich nicht verstanden. Und das hier klingt komisch. Ich hatte einen Kollegen bei GEO, Alexander Rost, der für mich der Idealfall eines guten Redakteurs war: Er las den Text, machte seine Bemerkungen dazu, und dann sind wir die einzelnen Kommentare durchgegangen. Und oft habe ich gesagt: Deine Formulierungen finde ich viel besser. Ich bin da offen. Wenn mir aber eine redigierte Fassung vorgelegt wird, die ich nur noch abnicken darf, ist das nur noch ein Verwaltungsakt – und keiner möchte gern verwaltet werden. Das Problem ist doch folgendes: Ich gebe einen Text ab, der dann etliche Instanzen durchläuft. Redakteur, stellvertretender Chefredakteur, die Verifikationsabteilung, am Ende der Chefredakteur. In diesem Durchlauf eignet sich die Redaktion den Text an, so dass im Laufe dieses Prozesses aus einem Text von Klaus Müller ein Stück des Blattes Pipapo wird. Das Magazin Pipapo wird aber argumentieren, dass es sich um eine bestimmte Blattlinie zu kümmern habe. Das ist wahr. Aber wenn ein Stück vorliegt, das nicht zur Linie passt, muss man sich mit dem Autor zusammensetzen und ihm sagen: Das läuft so nicht ganz – kannst du das anders machen? Oder man muss ihm sagen: Nö, das wird nichts mit uns. Man darf einen Text aber nicht als Rohmaterial verstehen, aus dem man eine neue Version dichtet. Und darum ging es mir bei dieser Angelegenheit. Darum festzustellen, wie weit eine Redaktion eigentlich gehen darf und wie weit sie sich mit mir ins Benehmen setzen muss. Sie sind ein renommierter Autor mit Jahrzehnte langer Erfahrung: Was ist Ihr Ratschlag für Redakteure einerseits und Autoren andererseits, um zu einer guten Basis zu finden? Erstmal ist es wichtig, dass auf der Seite der Redaktion die Einsicht besteht, dass ein freier Journalist ein Autor ist, mit dem man sich verständigen muss und den man nicht einfach übergehen kann, indem man in seinem Text herum malt und ihm das dann vorsetzt. Die Einsicht, dass der Autor zwar ein Nutzungsrecht überträgt, aber ein persönliches Urheberrecht hat, ist der wichtigste Schritt. Und was ist Ihr Rat an die Autoren? Das ist sehr kompliziert. Die Autoren sind ja abhängig, werden immer schlechter bezahlt und verhalten sich dementsprechend immer vorsichtiger. Sie nicken Dinge ab, die sie nicht abnicken würden, wenn sie genug Geld hätten. Und wenn sie dann zudem noch eine Familie haben, ist es noch schwieriger. Natürlich ist es immer wichtig, das Rückgrat gerade zu machen. Aber wenn man das im falschen Moment tut, ist man seinen Job los und steht auf der Straße, das ist auch nicht so klug. Wichtig ist, dass jetzt das Wissen vorherrscht, dass – wenn dieses Urteil Bestand hat – man bestimmte Rechte hat. Bislang sind Redaktionen mit der Haltung aufgetreten: Wir können machen, was wir wollen. Dass das Wissen, dass das nicht stimmt, nun vorhanden ist, das macht schon viel aus. Aber abschließend muss ich auch sagen: Ich habe auch für viele andere Redaktionen außer GEO gearbeitet, und meistens habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich hatte mit vielen Leuten zu tun, die sich wirklich Mühe gegeben haben. Was uns nun interessiert: Welche Erfahrungen machen andere Autoren, wenn sie mit Redakteuren an ihren Texten arbeiten? Wo läuft die Zusammenarbeit zwischen Freien und Redakteuren gut und wo sollte das Urteil des Landgerichts Hamburg sofort ans Schwarze Brett gehängt werden? Weitere Stimmen: Frau Elise im blog „offensichtlich“ Und Herr Widmer aus der Schweiz David Denk in der taz Reporter Andreas Altmann auf seiner Website Reporter Reiner Luyken hier in Kommentar 36