12 plus 1
Der Gründer von Freischreiber Kai Schächtele hat die 12 Thesen zum Journalismus in der aktuellen Zeit gelesen und fand: Da fehlt doch was! Wir kaufen ein paar Vokale und veröffentlichen den Text, mit einem freundlichem Verweis auf sein Blog Der Aufreger.
In der aktuellen Ausgabe der ZEIT haben Jochen Wegner und Bernd Ulrich zwölf lesens- und bedenkenswerte Thesen zu Print und Online zusammengetragen. Man sollte jede deutsche Redaktion zwingen, sie gleich heute morgen lutheresk an ihre Eingangstür zu hämmern. Mir fehlt allerdings ein Aspekt, weshalb ich eine 13. These hinzufügen möchte:
Debatten zur Zukunft des Journalismus sind wie Thsn hn Vkl, solange sie Geld aussparen (Ich möchte vier e, zwei o und ein a kaufen und lösen.).
Es hat keinen Sinn, über die Zukunft zu sprechen, wenn wir nicht endlich damit beginnen, gemeinsam zwischen Print und Online konstruktiv über Geld zu sprechen. Sonst lässt sich die Diskussion nicht vernünftig führen. Ich möchte das klar machen an dem Fall von Moritz Gathmann, der vor zwei Wochen Schlagzeilen gemacht hat. ZEIT Online hat die Zusammenarbeit mit ihm beendet, nachdem bekannt geworden war, dass der freie Journalist auch für die vom russischen Staat finanzierte Beilage „Russland heute“ gearbeitet hat.
Das Motiv hinter der Trennung ist völlig richtig: Es beschädigt die Arbeit eines unabhängigen Journalisten, wenn allein der Anschein aufkommt, dass seine Beobachtungen und Analysen von Interessen Dritter getrübt sein könnten. Viel souveräner aber und im Sinne der zwölf Thesen, nach denen wir alle zusammen mit Leidenschaft an der Zukunft unseres Berufs arbeiten sollten, wäre es gewesen, genau andersherum zu verfahren, Gathmann nämlich aufzufordern, die Zusammenarbeit mit „Russland heute“ umgehend einzustellen, und mit der Redaktion darüber zu sprechen, unter welchen Bedingungen er weiter professionell aus der Ukraine berichten kann. Und zwar über den aktuellen Konflikt hinaus. Mit einem dauerhaften Verdienst von 150 Euro für 5000 Zeichen geht das jedenfalls nicht.
Jochen Wegner hat sich in flankierenden Interviews auf einen Ethikcode berufen, der diesem Vorgehen entgegen gestanden hätte. Danach muss jeder Journalist eine längere Pause einlegen, wenn er für einen Auftraggeber in einem Aufgabengebiet gearbeitet hat, über das er später berichten möchte. Auch dieser Code ist sinnvoll und nachvollziehbar. Nur plädiere ich dafür, darin einen weiteren Punkt aufzunehmen:
Jeder, der für die ZEIT oder ZEIT Online schreibt, muss mit den Einkünften vernünftig wirtschaften können.
Das ist nicht viel verlangt von einer Redaktion, die verdientermaßen regelmäßig Rekordergebnisse einfährt und in der so viel Wirtschaftskompetenz versammelt ist, wie man sie jede Woche in der gedruckten und kontinuierlich in der Online-Ausgabe nachlesen kann.
Ich weiß, dass mich nun viele insgeheim für die ZEIT Magazin-Rubrik „Ich habe einen Traum“ vorschlagen. Gerade bei der ZEIT herrscht immer noch die Meinung vor, dass es eine Ehre ist, als Externer für das Blatt arbeiten zu dürfen. Wir sind nur inzwischen in einer Phase angekommen, in der viele Selbständige die eine Ehre mit der anderen quersubventionieren sollen. Und die Folgen sind zumindest in meinem Umfeld längst offensichtlich: Viele, von denen ich behaupte, dass sie mit ihrer Leidenschaft für den Journalismus, ihrer Umsetzungskompetenz und dem Pfeffer im Hintern einen unschätzbaren Wert für die Branche hätten, verlassen den Beruf und wechseln in die PR oder die Wirtschaft. Das ist nicht nur, wie ich weiß, für die Kollegen selbst ein kleines Drama, weil sie eigentlich nichts lieber täten als jeden Tag unabhängigen, informativen, leidenschaftlichen Journalismus zu produzieren.
Es ist auch verlagsökonomisch ziemlicher Unsinn: Viele meiner Kollegen haben Journalistenschulen besucht oder Volontariate absolviert. Das heißt, Verlage haben viel Zeit und Geld in ihre Ausbildung gesteckt. Und jetzt lassen sie zu, dass die abwandern? Das ist, als würde ein Staat ein universitäres System finanzieren und dann dabei zusehen, wie die Leute der Reihe nach das Land verlassen. In einigen Staaten in Osteuropa geschieht das ja und diese Staaten leiden enorm unter dem Verlust an ihrer eigenen Zukunft. Lasst uns doch gemeinsam verhindern, dass dies auch in unserer Branche passiert.
Ich nehme niemandem persönlich übel, dass die Dinge gerade so stehen, wie sie stehen. Jochen Wegner zum Beispiel sagte in einem der Interviews:
„Zeit Online ist ein tagesaktuelles Medium und unsere Honorare sind in diesem Feld konkurrenzfähig. Dass ein Chefredakteur Autoren und Redakteure gerne grundsätzlich besser bezahlt sähe, versteht sich von selbst.“
Ich kann mir vorstellen, wie schwer jemandem eine solche Antwort fallen muss, der vor einigen Jahren noch selbst eine Firma gegründet hat, mit der er innovative Kraft in die Branche pumpen wollte. Und es wäre absurd zu erwarten, dass jemand als Chefredakteur antritt mit der Ankündigung: “So, jetzt verdoppeln wir erstmal alle Honorare.” Wir alle hatten die Hoffnung, dass die Transformationen viel schneller gehen würden, die unsere Branche gerade so durcheinander bringen. Was wir deshalb brauchen, sind systemische Antworten auf die Fragen: Wie wollen wir in Zukunft Journalismus finanzieren? Und: Wie wollen wir das Geld künftig verteilen, das er noch einspielen kann? Ich weiß, dass das utopisch klingt, weil das schmerzhafte Verteilungskämpfe und den Abschied von liebgewonnenen Gewohnheiten bedeuten würde.
Aber dadurch, dass diese Fragen im Moment in keinem der vielen Beiträge zur Zukunft wirklich gestellt werden, werden die Folgen auf den Schultern der Freien abgeladen, die gezwungen sind, in sich selbst ihren eigenen Corporate-Zweig aufzubauen – und dann mitunter genau deshalb gefeuert werden. Wann, wenn nicht jetzt wollen wir damit anfangen, diese Fragen zu stellen, wo doch offensichtlich viele Verlage sehr konkret an Bezahlmodellen arbeiten?
Ich habe neulich meine Vermieterin gefragt, ob es in Ordnung wäre, wenn ich, solange die Branche die Fragen nach dem Geld verschämt verschweigt, meine Miete von meiner Leidenschaft bezahlte. Klar, hat sie geantwortet, aber nur, wenn ich damit einverstanden sei, dass sie meine Wohnung bis dahin mit Liebe heizt.