vom 18T12:19:58+00:00.06.2019

18. Juni 2019

Reden über Honorare, was einzelne :Freischreiber treiben und mehr zur VG Wort
 
 
Liebe Freischreiber*innen, liebe Kolleg*innen aller Arten,
 
er ist da. Ist draußen, ist online verfügbar, also Tag und Nacht erreichbar: unser erster Honorarreport.
Die erste, vorsichtige Auswertung vieler Daten, die in den letzten Monaten in unser Honorartool www.wasjournalistenverdienen.de anonym (!) eingestellt wurden.

Verfasst von den Freischreibern Katharina Jakob und Michel Penke, die sich über viele Datensätze gebeugt haben, um sie dann zu interpretieren – übrigens am Wochenende in einer Art Weltpremiere auf der Netzwerk-Recherche-Tagung in Hamburg vorgestellt. Springen wir mal hinein:

„Wir sehen nun die enorme Bandbreite journalistischer Bezahlung mit eigenen Augen. Und können endlich Honorare vergleichen, was uns beim Verhandeln ungemein hilft. Jetzt lässt sich überprüfen, ob das Argument ,Mehr haben wir noch nie gezahlt‘ auch tatsächlich zutrifft.“

Trifft es übrigens oft nicht … Und ein erstes, ebenfalls vorsichtiges Fazit:

„Es gibt sie, die Guten. Auffällig oft findet man fair zahlende Medien unter den Freischreiber-Himmelpreis-Trägern oder den Nominierten der vergangenen Jahre. Diese Redaktionen zahlen nicht nur angemessene Honorare, sondern pflegen auch einen respektvollen Umgang mit ihren freien Journalist*innen. Wir sind froh, dass es sie gibt. Sie zeigen uns, dass wir nichts Unmögliches fordern: gute Ware gegen gutes Geld.“ 
Und weiter: „Nun die schlechte Nachricht. Sie ist nicht neu, wurde uns aber durch das Honorartool noch einmal brutal vor Augen geführt. Ganz generell ist freier Journalismus in einer Weise unterbezahlt, dass wir uns fragen, wovon die Kolleg*innen da draußen eigentlich leben. Und vor allem: wie.“

Und dazu eine Zahl, zugegeben ein statistisch gemittelter Wert (genauer: der gleitende Median, dazu mehr hier): 22,50 Euro erhält ein freier Journalist, eine freie Journalistin im Mittel für eine Stunde Arbeit. Und das – festhalten – ist natürlich brutto.

„Und die Bezahlung nach Umfang? Das gemittelte Zeichenhonorar aller Medien, die ins Honorartool eingegeben wurden, liegt derzeit bei 40 Euro pro 1000 Zeichen. Das bedeutet: Für einen Text, der 10.000 Zeichen lang ist, gibt es im Mittel 400 Euro brutto. Nur ein paar Leuchtturm-Redaktionen bezahlen deutlich mehr (zum Teil das Vierfache und darüber hinaus) und heben so den Schnitt an. Ohne sie sähe es noch finsterer aus: So entlohnt eine regionale Tageszeitung 10.000 Zeichen mit 120,13 Euro brutto. Ernsthaft.“

Presseecho gab es viel und gutes: Turi.de berichtete ebenso wie meedia.de oder René Martens in der MDR-Medienkolumne „Altpapier“. Wie Carola Dorner, Vorsitzende der Freischreiber, den Honorarreport bewertet, was man tun kann, um finanziell nicht nur über die Runden zu kommen und warum Verhandeln und eben nicht Hinnehmen das A und O der Stunde ist, kann man hier im Interview bei @mediasres (Deutschlandfunk) nachhören. Anmoderation: „So, jetzt wird es unangenehm …“

Wichtig: Damit das Tool weitere und noch mehr aussagekräftige Daten zur Verfügung stellen kann, sind wir weiterhin auf Datenspenden angewiesen! Also bitte stets fleißig eintragen, was man bei welchem Medium für welche Zeichenlänge verdient hat bzw. wie viel in welcher Zeit. Und zwar für jeden einzelnen Beitrag, damit über die Fülle an Eintragungen immer mehr Daten zusammenkommen, die dann genauere Auswertungen ermöglichen. Beispiel: Wer für ein Medium mal die große Reportage, mal die schnelle Meldung, dann das tiefgehende Interview oder den knappen Infokasten getextet hat und dafür gewiss unterschiedlich entlohnt wurde, möge entsprechend alle vier Text-Honorare eintragen. Damit wir bald alle Sparten und Kategorien gut auswerten können.
 
Freischreiberiges
 
Kommt man auf das Problemfeld „Landwirtschaft“ zu sprechen, ruft man sich gemeinhin die Haare, und schnell kochen auch die Emotionen über: kein Fleisch mehr essen, leider mehr düngen, vielleicht doch der Gentechnik eine Chance einräumen, und wer soll das alles bezahlen, wenn es auf dem Teller liegt? „Das Problem ist komplex, es gibt keine einfachen Lösungen. Dabei ist der Hunger nach Veränderung groß. Überall testen landwirtschaftliche Pioniere innovative Lösungen, um den Agrarsektor umweltverträglicher zu gestalten. Von diesen Akteuren erfahren wir jedoch noch viel zu wenig“, sagte sich Freischreiberin und Riff-Reporterin Katharina Jakob und entwickelte mal ein ganz anderes journalistisches Medium: ein Kartenspiel: „Das Projekt ,Runde Kuh‘ will Menschen zusammenbringen, die sich eine neue Art der Landwirtschaft wünschen. Und die wissen wollen, was jeder Einzelne dazu beitragen kann.“ 
 
Das ist mal eine Ansage: „Dinge sind eine neue Hardware des Journalismus.“ Und flugs finden wir ein „Manifest des Journalismus der Dinge“, das auf der jüngsten re:publica vorgestellt wurde und aus dem der „Tagesspiegel“ ausführlich zitierte – etwa zu dem Manifest-Unterpunkt „Dinge können Reporter sein“: „Sensoren können langfristig vor Ort sein, Ereignisse aus einer anderen Sicht beobachten und neue Informationen beschaffen. Sie können aber auch an Orte gehen, wo Menschen nicht hinkommen, seien es verstrahlte Gebiete, Abflussrohre oder das Verdauungssystem. Wie gute menschliche Reporter können vernetzte Geräte somit eine andere Betrachtungsweise der Welt ermöglichen. Das bedeutet nicht, dass es dafür keine Menschen braucht. Dinge helfen als Reporter dort, wo Menschen keinen Zugang haben.“ Mitinitiator ist auch Freischreiber Jakob Vicari, der empfiehlt, das Manifest mal herunterzuladen und sich in Ruhe anzuschauen. Und wer tiefer eintauchen will in die Journalismus-der-Dinge-Welt: Vicari und seine Mitstreiter*innen laden zur ersten Journalism-of-Things-Konferenz, der JoT-Con 2019. Sie wird am 5. November in Stuttgart stattfinden und genau 100 Plätze für interessierte Kolleg*innen anbieten. 
 
Die USA unter Donald Trump – ein Wust aus Emotionen, Unverständnis und noch mehr Ratlosigkeit hat sich breitgemacht. Empfehlenswert sind da die Podcasts von Freischreiber Sebastian Moll, die die fehlenden Hintergründe liefern und überhaupt aus diesem Kosmos erzählen. Etwa: „Eine junge New Yorkerin namens Alexandria Ocasio-Cortez ist zur Symbolfigur der Aufbruchstimmung in Amerika geworden. Denn ihr gelang 2018, parteiintern einen der einflussreichsten Politiker der Demokratischen Partei aus dem Rennen zu werfen und in den Kongress einzuziehen. Die Karriere der 29-jährigen vom Nobody zum Medienstar zeigt, was in der amerikanischen Politik möglich ist, wenn nach einer verlorenen Wahl ein Vakuum an Personen und Ideen entsteht.“
 
Glückwunsch an Freischreiberin Nicola Kurth, die für ihr Projekt „MedWatch“, dass sie zusammen mit dem Journalisten Hinnerk Feldwisch-Drentrup betreibt, den „EMOTION.award 2019“ erhalten hat. Da passt es, dass das Medienmagazin ZAPP dem Projekt neulich einen schönen Beitrag gewidmet hat: „Vermeintliche Wundermittel gegen Malaria, Herzinfarkt oder Autismus. Panikmache vor Impfschäden. Fragwürdige Heilsversprechen bei Krebserkrankungen – das sind einige der zentralen Themen von „MedWatch“, einem Blog, der versucht, diesen Meldungen gut recherchierte Informationen und Fakten entgegenzusetzen.“
 
Und Glückwunsch auch an Freischreiberin und Riff-Reporterin Anja Krieger, die für ihr Podcastprojekt „Plastiphere“ das Grow-Stipendium des Netzwerk Recherche erhalten hat: „Mit der Recherche- und Podcast-Serie Plastisphere taucht die freie Journalistin Anja Krieger tief in das Umweltthema Plastik ein. Sie macht sich auf die Suche nach Hintergründen, Fakten und Lösungen für das wachsende Mülllproblem. Worauf fußt unsere Beziehung zu Plastik, wohin steuert sie? Was wissen wir über die Auswirkungen des Kunststoffkonsums – und wie können wir seine Folgen lindern? Das sind die Fragen, die sie Episode für Episode aus einem anderen Winkel beleuchtet.“ Und hier kann man sich ihre Beiträge in englischer Sprache anhören.
 
Und Glückwunsch Nummero drei: Freischreiber Steve Przybilla hat das „Milena Jesenská Fellowship“ erhalten. Bei einem dreimonatigen Recherche-Aufenthalt am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien wird er sich mit dem Thema „Predictive Policing“ befassen.

 


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Nachtrag VG Wort
 
Im vorigen Freischreiber-Newsletter hatten wir recht ausführlich von der Mitgliederversammlung der VG Wort in München berichtet. Entsprechend gern verweisen wir auf zwei Nachträge: Zum einen kommentiert Martin Vogel auf unserer Homepage die Auskünfte nach einer Anfrage der Partei Die Linke. Zum anderen findet unser Autor generell klare, harte Worte zum Geschehen:

„Die diesjährige Mitgliederversammlung der VG Wort in München war – wie zu erwarten war – keine wirkliche Überraschung. Es sind dort neben Anträgen des Vorstands auch mehrere Anträge von Mitgliedern gestellt worden, die nicht allein erhebliche Defizite bei der Erfassung und Abrechnung von Online-Veröffentlichungen, also Verwaltungsdefizite, betrafen, sondern auch die noch bedeutsamere, seit mehreren Jahren immer wieder an den Vorstand und die staatliche Aufsicht herangetragene Frage der Herausgeberbeteiligung, die an den Grundfesten der treuhänderischen Rechtewahrnehmung durch die VG Wort rüttelt.“ 
 
Dies&Das
 
Dem bedrohten Lokaljournalismus widmete Christoph Sterz im der Deutschlandfunk eine Sendung – und schaute besonders auf die politischen Folgen, wenn die Vor-Ort-Berichterstattung immer mehr ausfällt:

„Denn wenn die letzte verbliebene Lokalredaktion vor Ort schließen muss, berichtet auch niemand mehr kontinuierlich über die Vorgänge in der Stadt oder im Dorf, im Stadtrat oder in der Gemeinde. Das zeigt sich bereits in den USA, wo es schon viele Gegenden ohne Lokaljournalismus gibt. Amerikanische Wissenschaftler weisen darauf hin, dass in den Rathäusern weniger effizient gearbeitet wird, wenn niemand mehr verfolgt, was dort vor sich geht. Gleichzeitig legt eine Studie aus der Schweiz nahe, dass es mit weniger Lokaljournalismus auch weniger Wahlbeteiligung gibt.“ 
 
Seminare & Kurse & Treffen

„Ihr habt ein konkretes Problem des aktuellen Journalismus im Blick? Ihr habt Ideen für Produkte und Anwendungen, die den Journalismus nachhaltig verändern könnten? Ihr habt Interesse an produktiver Teamarbeit, fachlicher Begleitung, konstruktivem Feedback und erfreulichen Geldpreisen? Vor Ort NRW, das Journalismus-Lab der Landesanstalt für Medien NRW, lädt gemeinsam mit dem Barcamp.Ruhr, der Agile.Ruhr, den Webworkern Ruhr und flowedoo zum kostenlosen Hackathon, bei dem ihr in interdisziplinären Teams zusammenkommt und euch konkreten Challenges stellt. Es geht um Lösungen für inhaltliche und technische Fragen und um Anforderungen an den Journalismus von morgen.“

Und das Datum: 5. bis 7. Juli. Alles Weitere, vom Anfahrtsweg bis zum Anmeldeformular, findet sich hier
 
Ausschreibungen und Preise

„Die Stiftung Datenschutz prämiert zum dritten Mal journalistische Arbeiten, die sich durch ausgewogene Einordnung und verständliche Erklärung komplexer Vorgänge mit Bezug zum Datenschutz auszeichnen“, heißt es in der entsprechenden Ausschreibung. Im Topf liegen 5000 Euro. Die Einreichungsfrist endet am 1. Juli. 
 
Ebenfalls der 1. Juli als Einsendeschluss gilt für den Hessischen Sozialpreis: „Leben in einer Gemeinschaft erfordert vor allem eins: gesellschaftlichen Zusammenhalt, geprägt von gegenseitiger Rücksichtnahme, Verständnis und Toleranz. Doch wo steht unsere Zivilgesellschaft aktuell? Groß ist die Sorge über deren Spaltung oder gar Zerfall. Und was setzen die Hessinnen und Hessen dagegen?“ Wer darüber berichtet hat, möge prüfen und prüfen lassen, ob es nicht preisverdächtig ist – ein gewisser Hessenbezug wäre natürlich nützlich. Es winken am Ende 10.000 Euro, und die Ausschreibungsbedingungen im Detail finden sich hier.
 
Ein klein wenig sputen muss man sich, will man sich für den Medienpreis der Deutschen Depressionshilfe bewerben, ist doch Bewerbungsschluss der 30. Juni: „Auch wenn die medizinische und gesundheitspolitische Bedeutung depressiver Erkrankungen in den letzten Jahren mehr ins Bewusstsein gerückt ist, bleibt in punkto sachlicher Aufklärung noch viel zu tun. Den Medien kommt bei Wissensvermittlung und Aufklärung eine zentrale Bedeutung zu.“ Mehr Informationen erhält man hier, und der Jury sitzt ein interessanter Kollege vor: Harald Schmidt. 
 
   Und zum Schluss ein Klassiker: die Journalistenpreise der Otto Brenner Stiftung. Die Bewerbungen müssen bis zum 30.6. online eingereicht werden – es locken insgesamt 47.000 Euros in verschiedenen Kategorien vom Newcomer-Preis bis zum Medienprojektpreis. Und auch als Publikum kann man einen preiswürdigen Beitrag vorschlagen – man muss also nicht alles selber machen.

 
So das war’s schon wieder. Uns ist nach so vielen Informationen, so vielen Details mal so richtig nach dem Lesen eines langen Stücks im Stück – und so empfehlen wir ganz zum Schluss einen schönen Text des Freischreiber-Kollegen Karl Grünberg, der wie folgt beginnt:

„Plötzlich raschelt es im Gebüsch. Etwas Schweres drängt sich zwischen den Zweigen hindurch. Etwas Großes bahnt sich seinen Weg aus dem dunklen Berliner Wald, nahe am Tegeler See. Erst ist eine haarige Schnauze zu sehen, dann ein Kopf, dann das ganze Tier. Massiv, gedrungen und mit vielen struppigen Borsten. Es ist ein Wildschwein, eines der letzten größeren Wildtiere Deutschlands. Vom Menschen gefürchtet, vom Menschen verflucht und vom Menschen gegessen. Da ist es. Endlich, nur zehn Meter entfernt, nach stundenlangem Suchen. Eines von 3000 bis 5000 Exemplaren in der Stadt.“ 

In diesem Sinne, bleibt und bleiben Sie uns gewogen

Ihre Freischreiber*innen