vom 12T18:38:17+00:00.02.2019

Liebe Kollegen und Kolleginnen, liebe Freischreiberinnen und Freischreiber,

wir beginnen mit: in eigener Sache. Und trommeln mal kräftig. Für zwei Stammtische, und zwar in Hamburg (am 25. Februar) und in Berlin (am 18. März). Auf denen es um den Fall „Claas Relotius“ gehen wird. Dazu kommen nach Hamburg der „Spiegel“-Redakteur Jochen Leffers (der auch unser Ombudsmann dort im Verlagshaus ist) und sein Kollege von der „ZEIT“, Stefan Willeke. Zum Stammtisch nach Berlin kommt der freie „Spiegel“-Reporter Juan Morenoder den ganzen Fall aufdeckte. Das hat seinen Grund: Denn immer wieder hören wir Stimmen aus der Branche, die sagen, dass man jetzt die freien Journalisten unbedingt stärker kontrollieren müsse, damit sie sich da draußen in freier Wildbahn nicht irgendwas ausdenken … Was also – das ist die Frage, die uns bewegt – bedeutet der „Fall Relotius“ für uns freie Journalisten?

Relotius, Relotius, ach Relotius

Klar – die Debatte ist noch lange nicht beendet. Und sie ist vielfältig und zu Recht kontrovers. Medienkritiker René Martens hat in seiner immer wieder lesenswerten Medienkorrespondenz verschiedene Stimmen gesammelt, bietet so einen guten Überblick und kommt zu folgendem Fazit: „Wer beklagt, es werde in der Relotius-Debatte zu viel in einen Topf geworfen, dem lässt sich entgegenhalten: Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen einerseits schamlosen Erfindungen à la Relotius und andererseits Wirklichkeitsverzerrungen, die einem Hang zur Unterkomplexität geschuldet sind. Aber offenbar brauchte es erst einen krassen Anlass wie die Enthüllungen von Relotius’ Fälschungen, um über Dinge zu reden, über die man auch vorher längst hätte reden können. Dass das nicht passiert ist, ist zumindest zu einem kleinen Teil auch ein Versäumnis der Medienkritik, die das deutsche Reportagewesen bisher offenbar nicht ausreichend im Blick hatte.“

Michael Haller, Professor für Journalistik (der früher in der Jury für den Himmel-und-Hölle-Preis von Freischreiber saß), plädiert in einem langen Interview für Genauigkeit, Selbstkritik, aber auch eine gewisse Entspanntheit: „Auch ich bin entsetzt über die Fälschungen, für die der Name Relotius steht. Aber wir sollten nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Für das Reportageschreiben gibt es keine Schreibregelverordnung. Hier geht es um eine anspruchsvolle journalistische Kunstform. Und die sollten wir unter dem Relotius-Schock nicht kaputt reglementieren.“

Es muss ja nicht immer zu Fälschungen kommen, und der Journalismus geht vor die Hunde. Manchmal reicht es ja schon, wenn man schlichtweg nicht seine Arbeit macht. Der Publizist und Historiker (und Freischreiber) Volker Weiß hat sich einen Fall angeschaut, der in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen in diversen, auch deutschen Medien sorgte: Eine Waldorfschule in Wien habe die Kinder einer rechtsradikalen Publizistin von eben der Schule verwiesen. Von Gesinnungsterror der eben anderen Seite war schnell die Rede. Nur – keiner der Journalisten hatte mal bei der Schule nachgefragt! Weiß reicht in seinem Stück bisher nicht Erzähltes nach – und macht auch klar, dass komplexe Vorgänge nicht in flotten zehn Zeilen abzuhandeln sind.

Freischreiberiges

Freischreiber Andreas Unger (der bei uns im Vorstand für die Finanzen zuständig ist) war in den vergangenen Monaten gleich doppelt aktiv und hat nun einen Film und ein Buch abgeliefert. Zu seinem Film „Nächste Stunde: Zukunft“ schreibt er: „Gemeinsam mit Emel Ugurcan und Suli Kurban habe ich zwei Jahre lang junge Flüchtlinge einer Münchner Mittelschule begleitet. Entstanden ist ein 90-minütiger Film der alten Schule, ganz ohne siebengescheiten Sprecher, der einem sagt, was man gerade sieht oder denken oder fühlen soll.“ Zu sehen am 13. Februar abends um 22.45 Uhr auf Bayern 3 und danach in der Mediathek. Und das Buch? „Im ‚Vaterunser‘ heißt es lapidar: ,Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.‘ Andreas Unger betet diese Zeilen seit früher Kindheit und fand daran nie etwas auszusetzen. Vielleicht, weil er nie so richtig zugehört hat, was er da sagt?“ Entstanden ist daraus das Buch „Vergebung – eine Spurensuche“: Eine Mutter, die ihr Kind bei einem Amoklauf verloren hat, erzählt; ein Mann, der einen schweren Unfall verursacht hat. Unger: „Es gibt keine Pflicht, zu vergeben. Und manchmal hilft das auch nicht – aber sehr oft.“

Im letzten Newsletter hatten wir vermeldet, dass sich Freischreiber wie auch Reporter ohne Grenzen für die Freilassung des in Venezuela inhaftierten Journalisten Billy Six einsetzt – ganz egal, ob dieser hauptsächlich für rechte Medien arbeitet, denn die Freiheit des Wortes ist nun mal unteilbar. Nun berichtet Übermedien über den Fall und schildert seine diversen Facetten. Und schreibt: „Mindestens einen sehr prominenten, in so einer Angelegenheit erfahrenen Journalisten als Unterstützer hat Six allerdings: Deniz Yücel. Zu Six‘ Geburtstag an Heiligabend twitterte er: ,Die Freiheit des Wortes gilt oder gilt nicht. Sie ist unteilbar. Darum selbstverständlich: #FreeBilly.‘“ Den Brief von Freischreiber an das Auswärtige Amt in Berlin kann man hier nachlesen.

vginfo.org

Sie war eine gute, eine informative, eine nützliche Quelle: die Plattform vginfo.org, die kritisch über die VG WORT berichtete. Aus gutem Grund betrieben von Kollegen und Kolleginnen, die lieber anonym bleiben wollten. Nun erklärt das Team mit Blick auf die Entscheidungen zum geplanten europaweiten Urheberrecht das Ende der Plattform: „Wie auch immer das Gezerre um die EU-Urheberrechtsreform ausgeht – wir machen Schluss mit vginfo.org. Über Artikel 12, der die Beteiligung der Verleger an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften regeln soll, gibt es in der Europa-Politik schon seit geraumer Zeit keinen Dissens mehr. Nachdem auch das Europäische Parlament entschieden hatte, sich gegen die Interessen der Urheber zu stellen, wird diese Regelung ohnehin kommen, was auch immer aus Artikel 11 (Leistungsschutzrecht) und Artikel 13 (Uploadfilter) werden mag. Es wird zwar voraussichtlich keine Verpflichtung geben, die Verlegerbeteiligung in deutsches Recht umzusetzen. Die deutsche Bundesregierung hat allerdings nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie das beabsichtigt, und die Verleger scharren jetzt schon ungeduldig mit den Hufen.“ Die Bilanz fällt wie folgt aus: „Man hätte erwarten sollen, dass die Autorenvertreter und Gewerkschaften alles dafür tun, dass die Rechte der Autoren gewahrt bleiben. Stattdessen haben sie alles dafür getan, sich mit den Verlegern zusammen dagegen zu wehren, dass Urheber in Zukunft mehr Geld von den Verwertungsgesellschaften bekommen.“ Derzeit wird jemand gesucht, der die Online-Seiten gut archiviert, damit sie nicht verlorengehen. Freischreiber wird weiterhin versuchen, dagegen vorzugehen, dass die Verleger an den Ausschüttungen für die Autoren – also die eigentlichen Urheber – beteiligt werden.

Dies & das

Kann Journalismus gemeinnützig sein? Sollte er es sein können? Die Debatte darüber gibt es schon lange. Nun liegt ein Gutachten vor, das die nordrhein-westfälische Landesregierung in Auftrag gegeben hat und das zu einer sehr positiven Einschätzung kommt: „Die Vielfalt der Medien ist integraler Bestandteil des Gemeinwohls“, betonen die Gutachter Daniel J. Fischer, Peter Fischer und Anke Warlich. Der Markt alleine könne diese Vielfalt jedoch nicht gewährleisten, insbesondere im Lokaljournalismus. Diese Lücke könne der gemeinnützige Journalismus füllen, denn er sorge für „Vielfalt in journalistischen Aktionsfeldern, in welchen die gewinnorientierten Medien mangels Marktrelevanz nicht tätig werden“. Für die Medien habe die Anerkennung der Gemeinnützigkeit nicht nur steuerliche Vorteile, sondern auch die „Bedeutung eines öffentlichkeitswirksamen zivilgesellschaftlichen Qualitätssiegels“. Konkret geht es um Projekte wie die Wochenzeitung „Kontext“, den Recherche-Pool Correctiv oder das Online-Magazin MedWatch der Freischreiber Hinnerk Feldwisch-Drentrup und Nicola Kurth.

Seminare, Preise & Ausschreibungen

An Wirtschaftsjournalisten und -journalistinnen wendet sich der Herbert-Quandt-Medien-Preis der Johanna-Quandt-Stiftung: „Ob spannende Reportage, informative Dokumentation oder innovatives Digitalformat – alle journalistischen Gattungen und Genres können eingereicht werden. Neben der Themenwahl bewertet die Jury die sorgfältige Recherche und kompetente Interpretation von Fakten. Auch Sprache, Stil und Allgemeinverständlichkeit gehen in das Urteil ein.“ Bewerbungsschluss ist der 18. Februar. Dotiert ist der Preis mit 50.000 Euro – keine kleine Summe.

In den vergangenen zwei Jahren einen Beitrag zum Thema „Ehrenamt“ geschrieben, gesprochen oder abgedreht? Dann lohnt sich womöglich eine Bewerbung. Denn bis Ende Mai können sich Journalisten bzw. Redaktionen beim Journalistenpreis „Pro Ehrenamt – Hermann-Wilhelm-Thywissen-Preis“ bewerben. Im Topf liegen 20.000 Euro – für die Sparten Print & Online, Radio und TV sowie Lokales. Außerdem gibt es noch einen Nachwuchspreis.

Eine vielleicht spezielle, aber wichtige Ausschreibung: Das Dart Center für Journalismus und Trauma lädt jedes Jahr bei voller Kostenerstattung 12 Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt zu einer intensiven Woche Trauma-Schulung an die Columbia Universität in New York ein. Man muss sich allerdings sehr, sehr sputen: Die Bewerbungsfrist endet am 13. Februar.

Und eine Rechercheförderung in Höhe von 5.000 Euro für JournalistInnen mit Behinderungen auf dem Feld des lösungsorientierten Journalismus bietet die Noah Fondation an: „Der Journalismus ist hierzulande noch viel zu wenig divers, viele verschiedene Minderheiten sind in den Redaktionen stark unterrepräsentiert. Das hängt nicht nur mit der fehlenden Barrierefreiheit der Redaktionsräume zusammen, sondern auch mit einem Arbeitsmarkt, der immer noch nicht inklusiv ist. Mit diesem Recherchestipendium wenden wir uns explizit an Journalist*innen mit Behinderung. Sie sollen mit dem Stipendium in die Lage versetzt werden, ein aus ihrer Sicht wichtiges Thema mit gesellschaftlicher Relevanz zu beleuchten und Lösungsansätze zu recherchieren.“ Zur Bewerbung geht es hier entlang.

So. Das war’s schon wieder. Pickepackevoll ist dieser Newsletter – aber: So ist das manchmal.

In diesem Sinne, gutes Lesen!
Ihre
Freischreiber und Freischreiberinnen