vom 18T12:19:58+00:00.06.2019

18. Juni 2019

Reden über Honorare, was einzelne :Freischreiber treiben und mehr zur VG Wort
 
 
Liebe Freischreiber*innen, liebe Kolleg*innen aller Arten,
 
er ist da. Ist draußen, ist online verfügbar, also Tag und Nacht erreichbar: unser erster Honorarreport.
Die erste, vorsichtige Auswertung vieler Daten, die in den letzten Monaten in unser Honorartool www.wasjournalistenverdienen.de anonym (!) eingestellt wurden.

Verfasst von den Freischreibern Katharina Jakob und Michel Penke, die sich über viele Datensätze gebeugt haben, um sie dann zu interpretieren – übrigens am Wochenende in einer Art Weltpremiere auf der Netzwerk-Recherche-Tagung in Hamburg vorgestellt. Springen wir mal hinein:

„Wir sehen nun die enorme Bandbreite journalistischer Bezahlung mit eigenen Augen. Und können endlich Honorare vergleichen, was uns beim Verhandeln ungemein hilft. Jetzt lässt sich überprüfen, ob das Argument ,Mehr haben wir noch nie gezahlt‘ auch tatsächlich zutrifft.“

Trifft es übrigens oft nicht … Und ein erstes, ebenfalls vorsichtiges Fazit:

„Es gibt sie, die Guten. Auffällig oft findet man fair zahlende Medien unter den Freischreiber-Himmelpreis-Trägern oder den Nominierten der vergangenen Jahre. Diese Redaktionen zahlen nicht nur angemessene Honorare, sondern pflegen auch einen respektvollen Umgang mit ihren freien Journalist*innen. Wir sind froh, dass es sie gibt. Sie zeigen uns, dass wir nichts Unmögliches fordern: gute Ware gegen gutes Geld.“ 
Und weiter: „Nun die schlechte Nachricht. Sie ist nicht neu, wurde uns aber durch das Honorartool noch einmal brutal vor Augen geführt. Ganz generell ist freier Journalismus in einer Weise unterbezahlt, dass wir uns fragen, wovon die Kolleg*innen da draußen eigentlich leben. Und vor allem: wie.“

Und dazu eine Zahl, zugegeben ein statistisch gemittelter Wert (genauer: der gleitende Median, dazu mehr hier): 22,50 Euro erhält ein freier Journalist, eine freie Journalistin im Mittel für eine Stunde Arbeit. Und das – festhalten – ist natürlich brutto.

„Und die Bezahlung nach Umfang? Das gemittelte Zeichenhonorar aller Medien, die ins Honorartool eingegeben wurden, liegt derzeit bei 40 Euro pro 1000 Zeichen. Das bedeutet: Für einen Text, der 10.000 Zeichen lang ist, gibt es im Mittel 400 Euro brutto. Nur ein paar Leuchtturm-Redaktionen bezahlen deutlich mehr (zum Teil das Vierfache und darüber hinaus) und heben so den Schnitt an. Ohne sie sähe es noch finsterer aus: So entlohnt eine regionale Tageszeitung 10.000 Zeichen mit 120,13 Euro brutto. Ernsthaft.“

Presseecho gab es viel und gutes: Turi.de berichtete ebenso wie meedia.de oder René Martens in der MDR-Medienkolumne „Altpapier“. Wie Carola Dorner, Vorsitzende der Freischreiber, den Honorarreport bewertet, was man tun kann, um finanziell nicht nur über die Runden zu kommen und warum Verhandeln und eben nicht Hinnehmen das A und O der Stunde ist, kann man hier im Interview bei @mediasres (Deutschlandfunk) nachhören. Anmoderation: „So, jetzt wird es unangenehm …“

Wichtig: Damit das Tool weitere und noch mehr aussagekräftige Daten zur Verfügung stellen kann, sind wir weiterhin auf Datenspenden angewiesen! Also bitte stets fleißig eintragen, was man bei welchem Medium für welche Zeichenlänge verdient hat bzw. wie viel in welcher Zeit. Und zwar für jeden einzelnen Beitrag, damit über die Fülle an Eintragungen immer mehr Daten zusammenkommen, die dann genauere Auswertungen ermöglichen. Beispiel: Wer für ein Medium mal die große Reportage, mal die schnelle Meldung, dann das tiefgehende Interview oder den knappen Infokasten getextet hat und dafür gewiss unterschiedlich entlohnt wurde, möge entsprechend alle vier Text-Honorare eintragen. Damit wir bald alle Sparten und Kategorien gut auswerten können.
 
Freischreiberiges
 
Kommt man auf das Problemfeld „Landwirtschaft“ zu sprechen, ruft man sich gemeinhin die Haare, und schnell kochen auch die Emotionen über: kein Fleisch mehr essen, leider mehr düngen, vielleicht doch der Gentechnik eine Chance einräumen, und wer soll das alles bezahlen, wenn es auf dem Teller liegt? „Das Problem ist komplex, es gibt keine einfachen Lösungen. Dabei ist der Hunger nach Veränderung groß. Überall testen landwirtschaftliche Pioniere innovative Lösungen, um den Agrarsektor umweltverträglicher zu gestalten. Von diesen Akteuren erfahren wir jedoch noch viel zu wenig“, sagte sich Freischreiberin und Riff-Reporterin Katharina Jakob und entwickelte mal ein ganz anderes journalistisches Medium: ein Kartenspiel: „Das Projekt ,Runde Kuh‘ will Menschen zusammenbringen, die sich eine neue Art der Landwirtschaft wünschen. Und die wissen wollen, was jeder Einzelne dazu beitragen kann.“ 
 
Das ist mal eine Ansage: „Dinge sind eine neue Hardware des Journalismus.“ Und flugs finden wir ein „Manifest des Journalismus der Dinge“, das auf der jüngsten re:publica vorgestellt wurde und aus dem der „Tagesspiegel“ ausführlich zitierte – etwa zu dem Manifest-Unterpunkt „Dinge können Reporter sein“: „Sensoren können langfristig vor Ort sein, Ereignisse aus einer anderen Sicht beobachten und neue Informationen beschaffen. Sie können aber auch an Orte gehen, wo Menschen nicht hinkommen, seien es verstrahlte Gebiete, Abflussrohre oder das Verdauungssystem. Wie gute menschliche Reporter können vernetzte Geräte somit eine andere Betrachtungsweise der Welt ermöglichen. Das bedeutet nicht, dass es dafür keine Menschen braucht. Dinge helfen als Reporter dort, wo Menschen keinen Zugang haben.“ Mitinitiator ist auch Freischreiber Jakob Vicari, der empfiehlt, das Manifest mal herunterzuladen und sich in Ruhe anzuschauen. Und wer tiefer eintauchen will in die Journalismus-der-Dinge-Welt: Vicari und seine Mitstreiter*innen laden zur ersten Journalism-of-Things-Konferenz, der JoT-Con 2019. Sie wird am 5. November in Stuttgart stattfinden und genau 100 Plätze für interessierte Kolleg*innen anbieten. 
 
Die USA unter Donald Trump – ein Wust aus Emotionen, Unverständnis und noch mehr Ratlosigkeit hat sich breitgemacht. Empfehlenswert sind da die Podcasts von Freischreiber Sebastian Moll, die die fehlenden Hintergründe liefern und überhaupt aus diesem Kosmos erzählen. Etwa: „Eine junge New Yorkerin namens Alexandria Ocasio-Cortez ist zur Symbolfigur der Aufbruchstimmung in Amerika geworden. Denn ihr gelang 2018, parteiintern einen der einflussreichsten Politiker der Demokratischen Partei aus dem Rennen zu werfen und in den Kongress einzuziehen. Die Karriere der 29-jährigen vom Nobody zum Medienstar zeigt, was in der amerikanischen Politik möglich ist, wenn nach einer verlorenen Wahl ein Vakuum an Personen und Ideen entsteht.“
 
Glückwunsch an Freischreiberin Nicola Kurth, die für ihr Projekt „MedWatch“, dass sie zusammen mit dem Journalisten Hinnerk Feldwisch-Drentrup betreibt, den „EMOTION.award 2019“ erhalten hat. Da passt es, dass das Medienmagazin ZAPP dem Projekt neulich einen schönen Beitrag gewidmet hat: „Vermeintliche Wundermittel gegen Malaria, Herzinfarkt oder Autismus. Panikmache vor Impfschäden. Fragwürdige Heilsversprechen bei Krebserkrankungen – das sind einige der zentralen Themen von „MedWatch“, einem Blog, der versucht, diesen Meldungen gut recherchierte Informationen und Fakten entgegenzusetzen.“
 
Und Glückwunsch auch an Freischreiberin und Riff-Reporterin Anja Krieger, die für ihr Podcastprojekt „Plastiphere“ das Grow-Stipendium des Netzwerk Recherche erhalten hat: „Mit der Recherche- und Podcast-Serie Plastisphere taucht die freie Journalistin Anja Krieger tief in das Umweltthema Plastik ein. Sie macht sich auf die Suche nach Hintergründen, Fakten und Lösungen für das wachsende Mülllproblem. Worauf fußt unsere Beziehung zu Plastik, wohin steuert sie? Was wissen wir über die Auswirkungen des Kunststoffkonsums – und wie können wir seine Folgen lindern? Das sind die Fragen, die sie Episode für Episode aus einem anderen Winkel beleuchtet.“ Und hier kann man sich ihre Beiträge in englischer Sprache anhören.
 
Und Glückwunsch Nummero drei: Freischreiber Steve Przybilla hat das „Milena Jesenská Fellowship“ erhalten. Bei einem dreimonatigen Recherche-Aufenthalt am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien wird er sich mit dem Thema “Predictive Policing” befassen.

 


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Nachtrag VG Wort
 
Im vorigen Freischreiber-Newsletter hatten wir recht ausführlich von der Mitgliederversammlung der VG Wort in München berichtet. Entsprechend gern verweisen wir auf zwei Nachträge: Zum einen kommentiert Martin Vogel auf unserer Homepage die Auskünfte nach einer Anfrage der Partei Die Linke. Zum anderen findet unser Autor generell klare, harte Worte zum Geschehen:

„Die diesjährige Mitgliederversammlung der VG Wort in München war – wie zu erwarten war – keine wirkliche Überraschung. Es sind dort neben Anträgen des Vorstands auch mehrere Anträge von Mitgliedern gestellt worden, die nicht allein erhebliche Defizite bei der Erfassung und Abrechnung von Online-Veröffentlichungen, also Verwaltungsdefizite, betrafen, sondern auch die noch bedeutsamere, seit mehreren Jahren immer wieder an den Vorstand und die staatliche Aufsicht herangetragene Frage der Herausgeberbeteiligung, die an den Grundfesten der treuhänderischen Rechtewahrnehmung durch die VG Wort rüttelt.“ 
 
Dies&Das
 
Dem bedrohten Lokaljournalismus widmete Christoph Sterz im der Deutschlandfunk eine Sendung – und schaute besonders auf die politischen Folgen, wenn die Vor-Ort-Berichterstattung immer mehr ausfällt:

„Denn wenn die letzte verbliebene Lokalredaktion vor Ort schließen muss, berichtet auch niemand mehr kontinuierlich über die Vorgänge in der Stadt oder im Dorf, im Stadtrat oder in der Gemeinde. Das zeigt sich bereits in den USA, wo es schon viele Gegenden ohne Lokaljournalismus gibt. Amerikanische Wissenschaftler weisen darauf hin, dass in den Rathäusern weniger effizient gearbeitet wird, wenn niemand mehr verfolgt, was dort vor sich geht. Gleichzeitig legt eine Studie aus der Schweiz nahe, dass es mit weniger Lokaljournalismus auch weniger Wahlbeteiligung gibt.“ 
 
Seminare & Kurse & Treffen

„Ihr habt ein konkretes Problem des aktuellen Journalismus im Blick? Ihr habt Ideen für Produkte und Anwendungen, die den Journalismus nachhaltig verändern könnten? Ihr habt Interesse an produktiver Teamarbeit, fachlicher Begleitung, konstruktivem Feedback und erfreulichen Geldpreisen? Vor Ort NRW, das Journalismus-Lab der Landesanstalt für Medien NRW, lädt gemeinsam mit dem Barcamp.Ruhr, der Agile.Ruhr, den Webworkern Ruhr und flowedoo zum kostenlosen Hackathon, bei dem ihr in interdisziplinären Teams zusammenkommt und euch konkreten Challenges stellt. Es geht um Lösungen für inhaltliche und technische Fragen und um Anforderungen an den Journalismus von morgen.“

Und das Datum: 5. bis 7. Juli. Alles Weitere, vom Anfahrtsweg bis zum Anmeldeformular, findet sich hier
 
Ausschreibungen und Preise

„Die Stiftung Datenschutz prämiert zum dritten Mal journalistische Arbeiten, die sich durch ausgewogene Einordnung und verständliche Erklärung komplexer Vorgänge mit Bezug zum Datenschutz auszeichnen“, heißt es in der entsprechenden Ausschreibung. Im Topf liegen 5000 Euro. Die Einreichungsfrist endet am 1. Juli. 
 
Ebenfalls der 1. Juli als Einsendeschluss gilt für den Hessischen Sozialpreis: „Leben in einer Gemeinschaft erfordert vor allem eins: gesellschaftlichen Zusammenhalt, geprägt von gegenseitiger Rücksichtnahme, Verständnis und Toleranz. Doch wo steht unsere Zivilgesellschaft aktuell? Groß ist die Sorge über deren Spaltung oder gar Zerfall. Und was setzen die Hessinnen und Hessen dagegen?“ Wer darüber berichtet hat, möge prüfen und prüfen lassen, ob es nicht preisverdächtig ist – ein gewisser Hessenbezug wäre natürlich nützlich. Es winken am Ende 10.000 Euro, und die Ausschreibungsbedingungen im Detail finden sich hier.
 
Ein klein wenig sputen muss man sich, will man sich für den Medienpreis der Deutschen Depressionshilfe bewerben, ist doch Bewerbungsschluss der 30. Juni: „Auch wenn die medizinische und gesundheitspolitische Bedeutung depressiver Erkrankungen in den letzten Jahren mehr ins Bewusstsein gerückt ist, bleibt in punkto sachlicher Aufklärung noch viel zu tun. Den Medien kommt bei Wissensvermittlung und Aufklärung eine zentrale Bedeutung zu.“ Mehr Informationen erhält man hier, und der Jury sitzt ein interessanter Kollege vor: Harald Schmidt. 
 
   Und zum Schluss ein Klassiker: die Journalistenpreise der Otto Brenner Stiftung. Die Bewerbungen müssen bis zum 30.6. online eingereicht werden – es locken insgesamt 47.000 Euros in verschiedenen Kategorien vom Newcomer-Preis bis zum Medienprojektpreis. Und auch als Publikum kann man einen preiswürdigen Beitrag vorschlagen – man muss also nicht alles selber machen.

 
So das war’s schon wieder. Uns ist nach so vielen Informationen, so vielen Details mal so richtig nach dem Lesen eines langen Stücks im Stück – und so empfehlen wir ganz zum Schluss einen schönen Text des Freischreiber-Kollegen Karl Grünberg, der wie folgt beginnt:

„Plötzlich raschelt es im Gebüsch. Etwas Schweres drängt sich zwischen den Zweigen hindurch. Etwas Großes bahnt sich seinen Weg aus dem dunklen Berliner Wald, nahe am Tegeler See. Erst ist eine haarige Schnauze zu sehen, dann ein Kopf, dann das ganze Tier. Massiv, gedrungen und mit vielen struppigen Borsten. Es ist ein Wildschwein, eines der letzten größeren Wildtiere Deutschlands. Vom Menschen gefürchtet, vom Menschen verflucht und vom Menschen gegessen. Da ist es. Endlich, nur zehn Meter entfernt, nach stundenlangem Suchen. Eines von 3000 bis 5000 Exemplaren in der Stadt.“ 

In diesem Sinne, bleibt und bleiben Sie uns gewogen

Ihre Freischreiber*innen

vom 04T11:54:16+00:00.06.2019

4. Juni 2019

Von digitalen Hintertüren, schweren Tankern und Königskindern
 
 

Liebe Freischreiber, liebe Kolleginnen und liebe Freunde von Freischreiber,
 
in dieser an Aufregern nicht gerade armen Zeit kommt aus dem Hause Seehofer ein blumig klingender Referenten-Entwurf. Er heißt „Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“. Dank eines Leaks von netzpolitik.org ist der Entwurf seit März öffentlich. Seine Tragweite für Journalistinnen wurde aber erst so richtig klar, seit Reporter ohne Grenzen (ROG) ihn näher begutachtet hat. „Es ist ein verblüffender Plan“, schreibt der SZ-Redakteur Ronen Steinke in seinem Kommentar, „der sich im Paragrafenwust eines sehr langen und sehr viele Themen durcheinanderrührenden Gesetzentwurfs versteckt … Die wachsamen Leute der Organisation Reporter ohne Grenzen haben ihn gerade mit viel Mühe herauspräpariert. Seitens des Ministeriums gehört einige Unverfrorenheit dazu, einen solchen Plan einfach in Gesetzes-Kleinklein einzuwickeln. Es gehört auch einige Ruchlosigkeit dazu, sich jetzt, da man ertappt worden ist, darauf hinauszureden, das sei ja gar nicht ,intendiert‘ gewesen.“ Denn jetzt ist Feuer unterm Dach. Das Bundesinnenministerium versucht seit einigen Tagen, per Twitter zurückzurudern.
 

 
Was steht in diesem Papier? Die Möglichkeiten der Geheimdienste, digital gegen Terrorismus vorzugehen, sollen ausgeweitet werden. Der Entwurf lässt aber auch ein relativ müheloses digitales Aushorchen von Redaktionen und freien Journalisten zu, wie es im analogen Leben niemals durchgehen würde. Da können Redaktions-Server und Smartphones von Kolleginnen gehackt, Rechercheunterlagen durchforstet, Informanten ermittelt werden. Ohne dass auch nur eine Richterin zustimmen muss. Den Beschluss zum Ausspionieren darf der Verfassungsschutz selbst fällen. Und nur eine im Geheimen tagende Kommission kontrolliert noch diese Entscheidung. Wir erinnern an dieser Stelle nur ungern an den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, der sich nicht etwa über den Inhalt des Strache-Videos empört hat, sondern darüber, dass es an die Öffentlichkeit kam.
 
Wir haben Gemma Pörzgen, ROG-Vorstandsmitglied und Freischreiberin der ersten Stunde, um ein Statement gebeten: „Die Pläne des Innenministeriums“, sagt sie, „sind ein inakzeptabler Angriff auf unsere Rechte als Journalistinnen und Journalisten. Die Gesetzesnovelle mag eigentlich zum Ziel haben, Terrorismus zu bekämpfen – aber deshalb auch das Redaktionsgeheimnis digital aushebeln zu wollen, geht eindeutig zu weit. Gegen diese Pläne ist deshalb klarer Widerstand angesagt, und da sollten wir als Branche auch mit einer Stimme sprechen, um der Bundesregierung deutlich zu machen: Freie Medien gibt es nur mit Informantenschutz, egal ob offline oder online.“
 
Im Folgenden finden Sie zahlreiche Artikel zu diesem Angriff auf die freie Presse, unter anderem bei der taz, der FAZ (da eine ausführliche Stellungnahme des ROG-Geschäftsführers Christian Mihr), der SZ, im Altpapier von 360G Medien (MDR) oder in der Welt.
 
Im Newsletter vor zwei Wochen fragten wir nach dem Abschlussbericht der Relotius-Untersuchungskommission. Wir können nicht meckern, er wurde unverzüglich geliefert. Hier ist er, 17 Seiten lang. Die Kommission hat niemanden geschont und fatale Strukturen innerhalb des Gesellschafts-Ressorts ausgemacht, das Claas Relotius beschäftigte. Dass es sich dabei allerdings nicht um einen „Fall Relotius“ handele, sondern eher um einen „Fall Spiegel“, ist die Ansicht zweier ehemaliger langjähriger „Spiegel“-Mitarbeiter in diesem Bericht in der taz.
 
Apropos Strukturen, am 25. Mai fand die Mitgliederversammlung der VG Wort statt. Was dabei herausgekommen ist, schildern die Freischreiber-Vorstandsmitglieder Frank Keil und Jens Eber wie folgt: „Ende Juni soll es die doppelte Ausschüttung geben. Also die normale Ausschüttung für 2018 plus die Ausschüttung der Verlegeranteile, die nach aktuellem Stand (Vogel-Urteil / BGH-Entscheidung von 2016) den Autor*innen zustehen und schon für letzten Dezember zugesagt waren. Es gibt daher zweifach Geld – und ausgeschüttet werden gut 300 Millionen Euro. Ansonsten? Hier und da sind die Bemühungen des VG-Wort-Vorstands erkennbar, sich etwa bei der Vorstellung des Jahresberichts und der Bilanzen nicht nur hinter rein juristischen Verlautbarungen zurückzuziehen, sondern gelegentlich verständlich zu erklären, auch wenn da entschieden noch Luft nach oben ist. Zugleich gibt es sie immer noch, die VG-Wort-Mitglieder, die einen allergischen Schock bekommen, wenn Martin Vogel als VG-Wort-Kritiker auch nur ans Mikrofon tritt, und die entsprechend an keiner inhaltlichen Auseinandersetzung interessiert sind, weil sie sie nicht wollen.

Quer durch die Journalistenverbände gab es dagegen viel Unmut wegen des METIS-Systems: Als zu kompliziert, zu wenig praktikabel und vor allem als zu undurchsichtig wird es von vielen Mitgliedern empfunden. Der Vorstand musste entsprechend zwei Anträge hinnehmen: Zum einen ist er verpflichtet worden, für eine einfachere Handhabung zu sorgen. Zum anderen soll das starre Korsett von einer Mindestgröße von 1.800 Zeichen pro Beitrag bei mindestens 1.500 Zugriffen aufgegeben und eher eine pauschale Vergütung etabliert werden. Zudem soll eine eigene Kategorie ,Wissenschaft‘ für METIS eingerichtet werden. Mal schauen, wie der Vorstand dem nun nachkommt – wir prüfen das spätestens im Mai 2020 bei der nächsten Mitgliederversammlung.

Weiterhin: Unser Kollege Oliver Eberhardt kandidierte für den wichtigen Verwaltungsrat. Auch wenn er als bekennender Freischreiber deutlich mehr Stimmen bekam, als Freischreiber*innen vor Ort waren, reichte es zu unserem Bedauern nicht für einen Platz. Auffällig: Die beiden Kandidatinnen erhielten erheblich mehr Stimmen als die Kandidaten. Der oft zu hörende Appell, dass die VG Wort ,weiblicher‘ werden muss, fand immerhin so seinen Widerhall. Interessant ist auch, dass sich bei der Kandidat*innen-Vorstellung alle zum bisherigen Modell der freiwilligen Zustimmung der Autor*innen bekannten, bei dem die Autor*innen selbst darüber entscheiden, ob sie die Verlage an ihren Ausschüttungen beteiligen wollen. Ob das dann noch der Fall sein wird, wenn die EU-Urheberrechtsreform in deutsches Recht überführt wird, steht auf einem anderen Blatt. Fazit: Es tut sich was. Die VG Wort ist noch immer ein schwerfälliger Koloss, den man zuweilen zum verständlichen Erklären tragen muss. Wir bleiben entsprechend dran.“ Wer hier als Wahrnehmungsberechtige(r) mitliest, sollte genau jetzt eine Mail an die VG Wort schicken und einen Antrag auf Mitgliedschaft stellen. Nur als Mitglied können Sie an der Mitgliederversammlung teilnehmen und sind dort stimmberechtigt. Die Versammlung der Wahrnehmungsberechtigten und die Versammlung der Mitglieder sind zwei verschiedene Dinge. Kümmern Sie sich – es geht um ihre Rechte und um ihr Geld. Infos hier. 

Auch bei einem anderen schwerfälligen Tanker, der uns in den vergangenen Jahren stets an seiner Stahlwand abprallen ließ, heißt es ab sofort: Und er bewegt sich doch. Es geht um die Süddeutsche Zeitung, zweifacher Freischreiber-Höllepreis-Träger und bislang zuverlässig ohne Funkkontakt zu uns. Noch nicht mal den Preis wollte man bei der ersten Verleihung entgegennehmen. Nun aber flog von oben ein Seil über die Reling, Freischreiber-Reporter Frank Keil hat es ergriffen:
 
„Er ist angekommen! Unser Hölle-Preis, den wir im vergangenen Herbst an die Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung verliehen haben! Irgendwo steht er jetzt im Redaktionshochhaus in München-Zamdorf. Auch 2017 ging der Hölle-Preis an die SZ. Damals mussten wir unsere Preis-Skulptur bei den Pförtnern hinterlassen; diesmal aber konnten wir ein Gespräch mit der Leitung des Hauses führen: mit Julia Bönisch, der Chefredakteurin von sueddeutsche.de. Es wurde ein freundliches und offenes Gespräch – weshalb wir über den genauen Inhalt Stillschweigen vereinbart haben.
Nur so viel: Freischreiber und die Süddeutsche Zeitung haben einen Austausch begonnen und schauen nun beide, was getan werden kann, um die Situation von freien Journalist*innen im Hause zu verbessern. So ist unser Hölle-Preis ja immer auch gemeint: als Angebot, sich zusammenzusetzen, jenseits aller Differenzen und unterschiedlichen Interessen. Man kann aus der Hölle aufsteigen. Sogar in den Himmel. Nicht nur theoretisch.“
 
Oha, datt is nu bannig lang gewor’n, wie man in Hamburg, dem Freischreiber-Stammsitz, sagen würde. Daher folgt nun schnell: 
 
Freischreiberiges
 
Freischreiber Stefan Mey führt durchs Darknet, das nicht nur ein Hort für kriminelle Machenschaften ist, sondern auch ein Schutzraum für Journalistinnen sein kann: Am 17. Juni hält der Technikexperte im Wiener Presseclub Concordia um 18 Uhr seinen Vortrag „Darknet und Journalismus: Mythen, Fakten und Chancen“. Stefan Mey können Sie am 26. Juni auch in Mainz hören: im Erbacher Hof um 19 Uhr, veranstaltet vom Presseclub Mainz. Wer tiefer ins Thema einsteigen will: Am Wiener Forum Journalismus und Medien (fjum) gibt Stefan am 18. Juni einen Workshop zu „Darknet-Recherche für JournalistInnen“, von 9.30–17 Uhr. Mehr dazu hier.

 


Mitmachen und Ärmel hochkrempeln: Jetzt :Freischreiberin (oder :Fördermitglied) werden!


 


Ein anderer Technikspezialist öffnet wieder seinen Werkzeugkoffer und präsentiert digitale Tools für Journalisten: „Digitaler Werkzeugkasten für freie Journalist*innen“ von Freischreiber Henry Steinhau an der Akademie der bayrischen Presse am 26. Juni. Da geht es um probate Hilfen zur Zeiterfassung, Transkriptions-Software und wie man seine Rechercheunterlagen am besten schützt und organisiert. Henry verspricht seinen Teilnehmerinnen: „Nach dem Seminar haben Sie ein eigenes digitales Werkzeug-Set zur Hand, kennen taugliche Programme und Apps und können gute von weniger guten Tools unterscheiden.“
 
Was verdienen freie Journalisten? Am 14. Juni ist es so weit: Freischreiber stellt seinen ersten Honorar-Report zum Tool wasjournalistenverdienen.de auf der Netzwerk-Recherche-Tagung vor. Das Panel beginnt um 14.15 und stellt sich den Fragen: „So wenig? So viel?“

Freischreiber Peter Jamin ist am Mittwoch, 5. Juni 2019, 23.15 Uhr, Gast im ZDF-Talk “Markus Lanz”. In dem Gespräch geht es um sein Buch: „Ohne jede Spur – wahre Geschichten von vermissten Menschen“. Jamin arbeitet seit 1992 zu Vermisstenfällen und unterhält ehrenamtlich eine Vermissten-Hotline. Hier geht’s zum Buch (Rowohlt-Verlag).
 
 
Dit un dat
 
Soooooo sehr verdient: Der freie Journalist Juan Moreno, der seinen Ruf und seine berufliche Zukunft riskiert hat, um die Fälschungen von Claas Relotius aufzudecken, erhält den Leuchtturm-Preis von Netzwerk Recherche (NR) für besondere publizistische Leistungen. „Juan Moreno hat seinen journalistischen Kompass und seine Unabhängigkeit beispielhaft bewiesen. Er hat hartnäckig und mutig gegen Widerstände im eigenen Haus recherchiert und dabei viel riskiert – um schließlich zu enthüllen, was lange niemand wahrhaben wollte“, so Julia Stein, Vorsitzende von Netzwerk Recherche auf der Website von NR. Die Preisverleihung findet am 14. Juni um 16.45 Uhr auf der NR-Tagung statt, die dieses Jahr sinnigerweise unter dem Motto läuft: „Abenteuer Recherche“.

Reporter ohne Grenzen (ROG) freut sich über den renommierten Gutenberg-Preis, den die Organisation von der Stadt Leipzig erhalten hat. Geehrt wird die Kampagne „Fonts for Freedom“, die ROG zusammen mit der Hamburger Agentur Serviceplan umgesetzt hat. Ziel der Kampagne ist es, die Schriftarten geschlossener Medien am Leben zu erhalten. Dafür wurden diese nachgebaut, nach den entsprechenden Medien benannt und können nun weiter genutzt werden.
 
Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung schreibt für erfahrene Kolleginnen ein Recherchestipendium ab Herbst 2019 aus: Die Journalist in Residence-Fellowship ermöglicht den Stipendiaten für eine Dauer von sechs Wochen bis drei Monaten eigene Recherchen, einen Arbeitsplatz und ein monatliches Stipendium in Höhe von 3500 Euro. Bewerbungsschluss ist der 30. Juni 2019. Weitere Infos hier.
 
Das Schweizer Magazin „Reportagen“ hat ein eigenes Festival: Vom 30. August bis zum 1. September treffen sich an „3 Tagen im Sommer“ 60 Reporterinnen und Reporter zu 50 Veranstaltungen. Im Herzen von Bern. Die Tickets sind kostenfrei und online erhältlich.

Das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden ist für Medienschaffende eine Kernkompetenz. Der US-Sender ABC News hat sich darin besonders hervorgetan. „ABC News spent more time on royal baby in one week than on climate crisis in one year“, heißt es auf dem Blog von Media Matters. Archie, der neue Spross der britischen Königsfamilie sei „nur der siebte in der Thronfolge, aber Nummer eins in den Schlagzeilen“.

Das war’s wieder von uns. Lassen Sie sich nicht aushorchen, genießen Sie den frühen Sommer und bleiben Sie uns gewogen.

Ihre Freischreiberinnen