[Der :Freischreiber-Newsletter]

vom 25.09.2014

Ich,

ja – ich! Darf man „ich“ sagen? So laut und deutlich und gleich als erstes? Natürlich. Aber darf man auch „ich“ schreiben? Nun, da gehen die Meinungen vermutlich gleich in diesem Moment auseinander, liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Ältere unter uns erinnern sich noch gut daran, wie es war wenn einem älteren Kollegen damals Texte zurückgaben, wo es man es wagte … Und heute? Schreiben die jungen up-to-date-Kollegen und -Kolleginnen nicht ständig und überall „ich“? Auf Facebook, auf Twitter – und auch in ihren Texten, print und online sowieso?

„Es icht. Es icht immer häufiger in den deutschen Zeitungen und Zeitschriften. Es icht ganz furchtbar“, schreibt Michael Sontheimer in der „Taz“ und macht ein großes Fass auf: „Viele Journalisten berichten weniger über interessante Personen und Ereignisse, sondern schreiben lieber über sich selbst und was sie so alles erlebt haben. Die Leserschaft der Zeitungen schrumpft, die Zahl der Kolumnisten steigt. Die Kolumnisten erzählen, was sie im Fernsehen gesehen oder im Internet gefunden haben; sie schildern, welche Erfahrungen sie mit ihrem neuen Smartphone gemacht haben, was ihnen ihre halbwüchsigen Kindern zugemutet haben oder oder oder.“

Nun hat es immer etwas von „Opa erzählt vom Krieg“ wenn ältere Herren des Journalismus über ihr Unwohlsein berichten und dabei weit ausholen und oft entsprechend beleidigt klingen. Aber Sontheimer berührt schon einen heiklen Punkt, der besonders für freie Journalisten nicht uninteressant ist: „Viele Journalisten wollen nicht nur bedeutende und außergewöhnliche Menschen rühmen, sondern auch einmal gerühmt werden. Notfalls legen sie dafür selbst Hand an. Und in einer Zeit der fortschreitenden Individualisierung, der Ich-AGs und der Selbststilisierung betrachten viele Journalisten Eitelkeit als wichtigen Teils ihres Grundkapitals.
Im harten Kampf um Jobs versuchen sie sich als Marke zu entwickeln und zu profilieren. Gleichzeitig werden Journalisten inzwischen so schlecht bezahlt – Ingenieure verdienen als Berufsanfänger mehr als drei mal so viel wie junge Journalisten –, dass die Befriedigung der Eitelkeit auch dem Kompensieren der Ausbeutung und der immer schlechteren Arbeitsbedingungen dient.
Und neben psychologischen Gründen spricht auch die Arbeitsökonomie für das Ichen. Es handelt sich um eine recherchearme oder sogar recherchefreie Variante der journalistischen Produktion. Und wer kann und will schon überprüfen, ob der Autor tatsächlich in Afghanistan einem Angriff der Taliban entkommen oder ihn an der Hotelbar halluziniert hat. Oder ob die Kolumnistin tatsächlich von einer schwäbischen Latte-Mutti im Prenzlauer Berg angeherrscht wurde oder sie diese nur aus gängigen Klischees kompiliert hat.“

Von (s)ich erzählt Ralf Heimann von der „Operation Harakiri“ gerne und schreibt dann auch herzhaft „Ich“. Diesmal hat er Post bekommen. Vom Finanzamt! Und jetzt braucht er eine dazugehörige Bescheinigung von der Künstlersozialkasse: „Seit ein paar Wochen schreiben wir uns Briefe. In der Regel läuft das so: Ich versuche mit allem, was mir so einfällt, zu belegen, dass ich mein Geld jetzt als Journalist verdienen werde. Sie schreiben zurück, dass die Belege dafür nicht ausreichen. Manchmal habe ich das Gefühl, die ganze Behörde hat so eine Art Identitätsstörung. Eigentlich will sie partout niemanden aufnehmen, aber ab und zu meldet sich dann doch die Vernunft und sagt: Aber du musst, du musst.“

Also Belege hingeschickt, nächste Runde: „Ein paar Tage später kam wieder ein Brief mit der Nachricht, dass die Belege für eine Mitgliedschaft nicht ausreichen. Ich habe ihnen ein paar Folgen aus meiner Existenzgründer-Serie geschickt, die ich für das Medium-Magazin schreibe, weil ich so naiv war zu glauben, die könnte sich ja wohl denken, dass ich mir nicht Monat für Monat irgendwelche Geschichten über mein neues Leben ausdenke und diese in einem Fachmagazin publiziere, nur um mir diese Mitgliedschaft zu ergaunern. Ist ihnen wahrscheinlich auch klar. Die Belege brauchen sie trotzdem, denn die Absicht, ab September vom Journalismus zu leben, reicht für die Mitgliedschaft natürlich nicht aus, wenn ich dann ab Oktober an der Straße stehe und Würstchen verkaufe.
So ähnlich erklärte mir das die Frau am Telefon. Nicht mit den Würstchen, aber wieder total freundlich, geduldig und kompetent. Ich sagte, ich hätte da einen Buchvertrag. Das könnte ich belegen. Sie antwortete, das sei doch schon mal was. Und vielleicht reiche das als Beleg auch aus. Ich dachte, ich hätte sie endlich geknackt. Seitdem: nichts gehört.

 

Vielleicht, dass das Geld woanders her kommt? „Wir glauben an werbefreien Qualitätsjournalismus. Finanziert durch Leser, geschrieben durch unabhängige Journalisten und veröffentlicht als wunderschöne digitale Artikel“, teilt uns die Plattform „deppr journalism“ mit, die mit „wir“ also auf ein Art kollektives Ich setzt. Und crowdfundet gerade für folgende zwei Themen: eine Reportage auf den Straßen des Senegals, ein Ausflug in die Welt der Bettelkinder; und eine Reportage von Freischreiberin Sandra Weiss, die erklären wird, warum der weltweite Kokainhandel in den Bergen Perus beginnt. Ab einem Euro kann man eines oder beide Projekte unterstützen – und sich überhaupt mit der Plattform beschäftigen und auch selbst Themen vorschlagen. Wie das Projekt entstand und was es ausmacht – hier wird man schlau: „Wem wollen wir etwas beweisen? Niemandem. Wir wollen vor allem eines: Gute Geschichten lesen – digital aufbereitet. Das bedeutet, dass Texte mit Bildern, Audio, Video und Diagrammen ineinanderfließen und zu einem faszinierenden Leseerlebnis werden. Wir wollen zeigen, wie wir uns als Leser den digitalen Journalismus des 21. Jahrhunderts vorstellen. Wollen wir die Medienbranche revolutionieren? Vielleicht.“

Dies und Das

 

Florian Treiß erzählt im Gespräch, wie man sich mit dem Besetzen von Nischen ein Profil sichern kann, wie einem Fachdienst für das mobile Internet: „Es war eine absolute Bauchentscheidung. Ich habe gesehen, dass das Thema Mobile innerhalb der Medienbranche immer größer wird – und dann festgestellt, dass es dazu noch keinen passenden Fachdienst gibt. Dann habe ich mobilbranche.de mit nur rund zwei Wochen Vorlauf gegründet.“
 

Ein Plädoyer für Open Sources hält Kritsanarat Khunkham und fordert einen „Open Journalism“: „Denn Journalismus ist heute viel mehr, als bloß Texte zu schreiben, die dann einfach nur gelesen werden. Damit dieses Mehr passieren kann, sollten Journalisten die Daten und Informationen, die hinter ihren Geschichten stecken, offen zur Verfügung stellen. Es gibt bereits gute Beispiele dafür, wie zuletzt ein Artikel der „New York Times“ über die militärische Aufrüstung der Polizei im Rahmen der Ferguson-Berichterstattung. Zusätzlich zum Text haben die Autoren all ihr Recherchematerial auf der Onlineplattform GitHub hochgeladen, wo es jedermann frei anschauen kann.“
 

Alexander Pschera sieht in einem lesenswerten Beitrag für das Magazin „Cicero“ eine neue konservative Bewegung des Anti-Digitalen am Werke, zu der er Hans Magnus Enzensberger ebenso zählt, wie den Pfeife rauchenden Günter Grass: „Die Rede ist von der Bewegung des Anti-Digitalen, die sich fast jeden Tag ganzseitig im Feuilleton der FAZ, in den Publikationen einer Miriam Meckel, eines Byung-Chul Han, eines Roland Reuß – um nur die wichtigsten Protagonisten zu nennen – nachlesen lässt. Hier entsteht eine überzogene Theorie der digitalen Verschwörung gegen die Menschheit, die die Saat des Misstrauens verbreitet und die Gesellschaft lähmt. Die Debatte um das Netz ist in eine Phase der kulturellen Endschlacht getreten, in dem es um die nackte Existenz geht. Entsprechend alarmistisch ist diese Debatte, in der sich ein neuer Konservativismus der Unterkomplexität formiert.“
 

Wie es ausschaut, wenn wiederum die „Faz“ zu einem analogen Podiumsgespräch zum Thema „20 Jahre Online-Journalismus einlädt, ist hier zu sehen. Beachten Sie bitte den futuristischen Deckenbehang, bevor nach der Ouvertüre die Herren und die eine Dame auf dem Podium gezeigt werden! Und die breite Fluchttür im Rücken!!

 

Freischreiberiges

 

Empfehlen möchten wir diesmal ein Radio-Feature von Freischreiber Caspar Dohmen: „Der entzauberte Mythos Familienunternehmen – Eine Suche nach der Kraft der verwandtschaftlichen Bande“ auf „Deutschlandradio Kultur“. Das wie folgt eingeführt wird: „Was ist dran am Ruf deutscher Familienunternehmen? Sie stellen sich gerne als tugendhaft und verlässlich dar. Der Mythos besagt, dass die Geschäfte langfristig seien. Feindliche Übernahmen und Gewinnmaximierung passen nicht dazu – sollte man meinen.“
Nachzulesen und selbstverständlich auch nachzuhören, hier.

 

Neue Blogs

 

Die einen freuen sich, dass die Welt der sozialen Medien sich komplexer und auch anarchischer agiert, die anderen wollen endlich Ordnung schaffen und setzen auf Übersicht: „Social Media Watchblog“ heißt ein neuer Blog, der das Durcheinander der sozialen Medien beobachtet und dazu ein tägliches Briefing anbietet. Und darum geht’s: „Wir leben in einer Welt voller Infobrocken und Nano-News. Hunderte von Links rutschen durch den News Feed, Tausende von Tweets versenden sich sekündlich. Wir wollen beim Social Media Watchblog Ruhe in das Chaos bringen. Die Idee ist es, die wichtigsten Links des Tages zum Thema Social Media kommentiert zu verlinken – im Blog, im Newsletter, auf Twitter und Facebook. Das war`s.

Dem heutigen Briefing entnehmen wir etwa den Hinweis auf den sehr spannenden Artikel von Tobias Schwarz, der sich wahlweise bei Publixphere wie auf carta.info findet und die Gefahr von sozialen Netzwerken für den Journalismus thematisiert: „Schon jetzt zeigt Facebook in der Chronik den Nutzern nur ausgewählte Inhalte, vor allem welche von beliebten Medien und was unseren Freunden gefällt. Doch sogar meine Freunde teilen nur Artikel, die ihnen gefallen. Das sind nicht immer die relevantesten, weshalb Artikel nicht nach ihrem Nachrichtenwert produziert werden, sondern nach ihrer Stimmung. Erst am Montag startete die von Amazon-Gründer Jeff Bezos gekaufte „Washington Post „einen neuen Newsletter für ihre Abonnenten: „The Optimist“. Der Name verrät schon, welche Stimmung all diese Artikel haben, die sich um die Themen Zufriedenheit, Kreativität und die Welt verbessernde Menschen drehen. In keinen dieser Themenbereiche würde aber ein Artikel über Angela Merkel passen, Kritik an dem Einfluss von Interessensverbänden auf die Politik, Kriegsberichterstattung oder eine kritische Bewertung der Asylpolitik. Ein auf Likes und Favs fokussierter Journalismus verliert alles, was ihn ausmacht. Und besonders demokratische Gesellschaften verlieren einen Debatten kreierenden Akteur, der systemrelevant ist.“

 

Kongresse und Treffen anderer Art

 

In München kündigt sich der „Zündfunk-Netzkongress" an und das am 10. und 11. Oktober im Münchner Volkstheater: „Das Zentrum für Politische Schönheit erklärt seine aggressiven Kunstaktionen. Autorin Zoë Beck hält E-Books für eine große Chance. Und t3n-Redaktionsleiter Luca Caracciolo fragt: Was passiert, wenn die Cloud ausfällt?.“ Außerdem wollen folgende Vortragenden die richtige Fragen stellen: „Frank Rieger vom Chaos Computer Club, Otpor!-Gründer Srdja Popovic, Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit, Zoë Beck, Philipp Köster von 11 Freunde, Dirk von Gehlen, Anne Schüßler, Deef Pirmasens und Christian Schiffer, Felix Schwenzel, Ole Reißmann und Hakan Tanriverdi. Danach Party mit Pollyester und Beißpony (?) und Zündfunk-Deejays!“
Mit dabei sind auch „Torial“, „Hostwriter“, die „Krautreporter“ und wir Freischreiber natürlich.

 

Preise

 

„Zeitungen und Zeitschriften verlieren Leser – weil die Leser blöder werden oder weil die Journalisten sie langweilen? Waren wir den Ereignissen des Jahres gewachsen, haben wir sie beschreiben können, erklären können, einordnen können? Oder haben wir nur abgebildet, was sowieso jeder sah?“ Das fragt das Reporter-Forum und schreibt aus dieses Jahr seinen Deutschen Reporterpreis aus: „ Mit dem Deutschen Reporterpreis sollen die herausragenden Reportagen, Interviews und Essays des Jahres ausgezeichnet und vorbildliche Texte zur Diskussion gestellt werden.“ Und: „Der Preis ist nicht dotiert, zukünftig wollen wir aus unseren Einnahmen lieber das ReporterLab finanzieren, mit dem neue Formen des Journalismus gefördert und präsentiert werden.“

Für folgende Kategorien kann man sich bewerben: beste politische Reportage, beste Lokalreportage, beste Reportage allgemein, bester Essay, beste Webreportage, Freistil und: bester freier Reporter. Denn: „Immer mehr Reporter arbeiten nicht mehr in Redaktionen, der wirtschaftliche Druck hat viele Zeitungen und Zeitschriften veranlasst, kostenaufwendige journalistische Formen auf Freie auszulagern. Sie tragen nun das Risiko aufwändiger Recherche und akribischer Textarbeit, viele von ihnen können sich Reportagen nicht mehr leisten. Sie wollen wir mit dem Preis für den besten freien Reporter ermuntern, weiter an Texten zu arbeiten, die ihnen wichtig sind, auch wenn sie sich vielleicht nicht mehr rechnen.“
Eingereicht werden können alle deutschsprachigen Texte und Multimedia-Beiträge, die zwischen dem 1. Oktober 2013 und dem 30. September 2014 erschienen sind.
Einsendeschluss ist Mittwoch, 1. Oktober 2014, 12 Uhr. Also via Online.

 

So. Das war's schon wieder. Jedenfalls fast. Wir haben als Rausschmeißer diesmal eine interessante Multi-Media-Geschichte anzubieten, die zugegeben sehr amerikanisch ist, aber gut zeigt, wohin der Weg auch geht: http://kennedyandoswald.com/#!/premiere-screen. Gefunden, weil von Petra Bernhardt getwittert. Die ihrerseits eine interessante Seite hat, auf der sie sich mit Fotojournalismus und Bildpolitik beschäftigt. Wenn Sie mögen, schauen Sie doch bei beiden vorbei!

In diesem Sinne
Ihre Freischreiber

FREISCHREIBER TERMINE
 

Hamburg

Der letzte Montag des Monats ist Stammtisch-Time, also diesmal der 29.9., und dann um 19 Uhr. Das Thema: Freie Kollektive statt Verlage? „Die Krise schlägt mit voller Härte zu, die Verlage, so scheint es, zerlegen sich derzeit selbst. Und was bedeutet das für uns Freie? Wir werden künftig viel stärker zusammenarbeiten müssen, in kleinen Teams, wenn nötig weltweit vernetzt, um weiterhin die schönen Geschichten erzählen zu können.“ Das ist zumindest die These von Marcus von Jordan, dem Gründer und Chefredakteur von „torial“, der unser Gast sein wird. Mit ihm diskutieren wir über neue, kollektive Arbeitsformen im Journalismus und die Möglichkeiten, die sein Netzwerk dafür bietet. Anschließend sitzen wir wie gewohnt bei Bier, Wein und Kamillentee beisammen.

Ort: das traumhafte Oberstübchen in St. Pauli-Süd, dass die Adresse St. Pauli Fischmarkt 27 hat.

Achtung: Navis führen da gern mal in die Irre, Passanten schicken einen an den falschen Ort: Das Oberstübchen liegt nicht am Fischmarkt selbst, sondern ein Stück in Richtung Hafenstraße – obendrauf auf dem Pudel Club und nebenan von Park Fiction.

Über eine kurze Anmeldung freut sich bjoern.erichsen-at-gmail.com.

 

Wien

Wir Freischreiber aus Österreich sind überzeugt: Es wird ein heißer Herbst! Den Beginn machen wir mit unserem nächsten Freien-Stammtisch, für den wir uns etwas ganz Besonderes überlegt haben: Als Gast wird uns diesmal Robert Misik besuchen und uns einiges über sein Leben als Journalist, Autor und Blogger erzählen. Wer Misiks Blog noch nicht kennt, hier zum Nachlesen: www.misik.at
Wann: Mittwoch, 1. Oktober 2014, ab 19 Uhr
Wo: Café-Vinothek, Walletschek, Sobieskiplatz 4a, 1090 Wien 

[Der :Freischreiber-Newsletter]

vom 19.09.2014

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

„Als ich mich vor acht Jahren entschied, selbständig zu arbeiten, tat ich dies in der Überzeugung, dass es in unserem Beruf einen Zusammenhang gibt zwischen der Qualität der Arbeit und den Einnahmen, die sich daraus erzielen lassen. Ich war sicher: Wenn ich mich professionell verhalte, mich an Absprachen halte und gute Produkte liefere, werde ich ein gutes Auskommen haben“, so beginnt Kai Schächtele, einst Freischreiber-Gründe seine Ausführungen auf dem Blog von „Torial“. Doch wie wir alle wissen, dem war nicht so, dem ist nicht so. Und schlimmer: „Was wir im Moment erleben, ist keine Krise des Erzählens oder des Journalismus an sich, wie viele denken. Es ist eine Krise des Geschäfts mit Journalismus. Und wer die ausgezeichnete arte-Dokumentation „Die virtuelle Feder – Journalismus von morgen“ gesehen hat, weiß, dass wir diese Krise nicht exklusiv haben. Weltweit ringen Journalisten darum, wie es mit unserem Beruf weitergehen soll. Und die Zeit läuft. In der Doku wird die Studie eines australischen Forschers zitiert, der das globale Zeitungssterben prognostiziert: 2017: USA. 2019: Großbritannien. 2030: Deutschland. Die Amerikaner hätten wahrscheinlich gern unsere Sorgen.“
Und so zieht er seine Schlüsse: "Wir haben in Deutschland nicht nur eine Krise des Geschäfts mit Journalismus, wir haben auch eine Krise der Leidenschaft und des Muts. Mein Eindruck ist, dass sich in den Verlagen gerade viel mehr Menschen Gedanken darum machen, wie sie das, was sie sich aufgebaut haben, in die Zukunft hinüberretten können als darüber, was sie beitragen können, um unsere Leser auch in einer radikal umgewälzten Medienwelt von unserer Arbeit zu begeistern. Das aber kann nur klappen, wenn wir Dinge wagen, von denen wir zu Beginn nicht wissen, ob sie funktionieren. Die Selbständigen haben längst verinnerlicht, dass sie Risiken eingehen müssen, um voranzukommen. Es ist höchste Zeit, dass dieses Bewusstsein auch unter den Festangestellten ankommt. Zu ihrem eigenen Wohl.
 
Ein Erweckungsmittel allerdings hält Schächtele bereit. Eines als Film! Den Film
„The secret life of Walter Mitty“, der von einem Mitarbeiter des Magazins „Life“ erzählt, der eines Tages über seinen Schatten springen muss – wobei das Springen sehr wörtlich zu nehmen ist. Klasse Film, tolles Ding – unsere cineastische Empfehlung des Monats, ach: des Jahres! Und keine Sorge: Es geht auch um die Liebe!
 
Einen Schritt zurück geht noch mal Christian Jakubetz und widmet sich der klassischen Printredaktion. Und schildert uns daher eine ideale-typische Musterzeitung: „Ob die Redaktion überaltert ist, ist sicher Auslegungssache. Fakt aber ist: Das Durchschnittsalter in der Redaktion unserer Musterzeitung liegt bei deutlich über 40. Im Kern arbeitet sie schon viele Jahre zusammen und hat auch nur in den seltensten Fällen Zuwachs von außen. Den meisten in der Redaktion ist auch anderes klar: Zum einen haben sie sehr häufig feste Wurzeln in der Region geschlagen und wollen von dort auch gar nicht mehr weg. Zum anderen ist ihnen – auch dadurch bedingt – durchaus klar, dass ihre beruflichen Perspektiven eingeschränkt sind. Wer 15 oder 20 Jahre im selben Laden und zudem aus privaten Gründen weitgehend ortsgebunden ist, kann sich leicht ausrechnen, welche berufliche Möglichkeiten er hat – noch dazu in einer Region, in der es zumindest für den Journalisten-Job so gut wie keine Alternativen gibt. Dazu sind in den vergangenen Jahren diverse interne Dinge passiert, die das Verhältnis der Redaktion zu ihrem Arbeitgeber nicht unbedingt gefördert haben. Wenn man also von einer mäßig motivierten Redaktion spricht, tut man niemandem Unrecht.“
 
Wie frisch und ungestüm kommt da im Vergleich ein Gespräch von „Netzkolumnistin“ mit der jungen Kollegin Katharina Brunner daher, die mit „Storyteller“ mal eben ein Tool für Multimedia-Formate programmiert hat.
Frage der Netzkolumnistin: Sollten Journalisten eigentlich coden können? Und die Antwort: „Ich glaube, dass es nicht schadet, wenn gerade Online-Journalisten ein bisschen CSS oder HTML können und eine Ahnung davon haben, wie Webseiten aufgebaut sind. Das ist nicht schwer und mit Hilfe eines Kurses zum Beispiel Codeacademy kannman sich innerhalb weniger Stunden zumindest rudimentäres Wissen aneignen – und dann einfache Änderungen selbst machen kann. Allerdings sind codende Journalisten Spezialisten, so wie es sie auch in anderen Bereichen gibt. Und wie zum Beispiel bei TV-Journalisten bekommt man diese Fähigkeiten nicht nur durch einen Online-Kurs und auch nicht über Nacht.“
 
Hier geht es abschließend zur Demoversion.
 
Apropos ‚abschließend’: Das gute, treue „Netzwerk Recherche“ kommentiert einen weiteren (vorläufigen?) Schlussstrich: „Henri ist weg. Zumindest im Jahr 2015 spart sich der Verlag Gruner + Jahr den Henri-Nannen-Preis, eine der profiliertesten Auszeichnungen im deutschen Journalismus. Mit seinen Kategorien wie Investigation, Dokumentation und Reportage würdigt sie alljährlich auch Spitzenleistungen in Sachen Recherche. Nun fällt der nach "Stern"-Gründer Henri Nannen benannte Preis dem Sparzwang bei Gruner + Jahr zum Opfer. "Insbesondere die traditionell in feierlichem Rahmen begangene Preisverleihung erscheint uns in dieser Lage nicht angemessen", heißt es zur Begründung: "Zudem ist davon auszugehen, dass Wettbewerb und Preisverleihung von der fortlaufenden Diskussion um Sparmaßnahmen und Stellenabbau überlagert würden und dass sich auch die Preisträger einem öffentlichen Diskurs stellen müssten, der mit ihrer ausgezeichneten Leistung nichts zu tun hat." Nun ist der Henri-Nannen-Preis eine G+J-Veranstaltung, und der Verlag kann selbstverständlich damit machen, was er will. Ob die Absage allerdings das richtige Signal in und für eine Branche ist, die trotz aller Umbrüche immer noch beachtliche Leistungen aufzuweisen hat?“
 

 

Dies und Das

 
Dass es beim Blog „carta.info“ massiven Ärger und Streit gegeben hat, dürfte sich herumgesprochen haben. Wer sich auf den Weg machen will, da zu einer Einschätzung zu kommen, der schaue hier, hier und auch hier. Das neue, andere carta.info hält sich dagegen bedeckt: Wichtig ist: wir werden uns redaktionell neu aufstellen müssen und bedauern die Umbrüche und danken unseren langjährigen und verdienstvollen Redaktionskollegen – trotz flüchtigen Zorns und schnell verfasster Emotionalitäten.“ Schnell verfasste Emotionalitäten – was soll das denn sein?
Über das offenbar gar nicht so karitative Treiben der Münchner Straßenzeitung „Biss“ schreibt die Taz, der aktuelle Jahrgang der Henri-Nannen-Schule (noch unter alten Bedingungen dort tätig!) bietet zum empfehlenswerten Reeperbahn-Festival eine täglich-flotte Multimediaberichterstattung und die letzte Ausgabe von „Zapp“ widmete sich den Independentmagazinen.
Lesenswert ist auch ein längeres Interview mit dem Auslandreporter Michael Obert: „Das Schreiben und Reisen ist für mich mehr als eine Arbeit, es ist meine Art zu leben. Ich will Geschichten erzählen, gut recherchierte, Geschichten aus den Teilen der Welt, in denen ich seit fast 20 Jahren unterwegs und bestens vernetzt bin. Ich glaube, dass wir solche Geschichten brauchen und dass sie Prozesse anstoßen und die Dinge vor Ort verändern können. Die Medienbranche ist in rasanter Umwälzung begriffen. Das führt zu einer Menge Schwarzmalerei, aber ich stelle fest: Die Nachfrage nach hochwertigen Auslandsgeschichten ist enorm. Um solche Reportagen weiterhin zu ermöglichen, müssen alle Beteiligten kaufmännisch kreativer werden. Auch die freien Journalisten. Ich begreife die Redaktionen als Partner, mit denen ich gemeinsam nach Wegen suche, wie sich aufwendige Projekte umsetzen lassen.“
Und ist noch jemand mit seiner Steuererklärung beschäftigt? Der von 2013, 2012 oder gar der von 2011? Egal – nützliche Tipps bietet da immer wieder der „lex-Blog“, der sich diesmal das sagenumwobene „Elster-System“ vorgenommen hat.
 
 

Freischreiberiges

 
Freischreiberin und Taz-Kriegsreporterin Silke Burmester macht erst mal Pause mit dem Reportern bis zum kommenden Jahr und arbeitet 'fremd'. Und empfiehlt uns gerade angesichts der so genannten Medienkrise unbedingt weiter: „Und da kommt Freischreiber ins Spiel! Mein Verein, voll Demonstrations- und Aktionserfahrung, könnte sein kampagnengeschultes Personal und eine Modul-Widerstandsausrüstung gegen Gebühr anbieten. Je nach Aktionsgröße könnte Freischreiber Konzepte, Klebeband oder das Demo-Rundum-sorglos-Paket bereitstellen. Auch interessant für die Sternis und alle, die noch kommen: das monatliche Freischreiber-Treffen mit Zuspruch und Beratung durch erfahrene Mitglieder. Für gefeuerte Chefredakteure könnte man eine Gruppe bilden, „Frei-Chef“. Ein Coaching könnte den Ex-Chefs helfen, mit dem Bedeutungsverlust klarzukommen.“ Klar, machen wir. Eine E-Mail reicht.
 
Freischreiberin und Leiterin der Berliner Regionalgruppe Gemma Pörzgen dagegen nutzt das 20-jährige Bestehen von „Reporter ohne Grenzen“, um ihr dortiges Engagement und die Folgen für ihre Berufstätigkeit zu reflektieren: „Für jeden Journalisten gibt es berufliche Schlüsselmomente. Für mich liegen sie in den ersten Jahren meines Berufslebens, als ich in Südafrika bei der englischsprachigen Zeitung „Natal Witness“ arbeitete. Es waren die letzten Jahre der Apartheid-Regierung Anfang der 1990er Jahre, und die Zeitung in der Kleinstadt Pietermaritzburg galt landesweit als progressiv, weil sie ihrem Hauptblatt die Beilage „Echo“ für die schwarze Bevölkerung zufügte. Darin schrieben schwarze Journalisten, teilweise auch in ihrer Muttersprache Zulu, für die Bewohner der umliegenden Townships. Aber sie trugen auch zur Berichterstattung des Hauptblattes bei, in dem sie Kommentare schrieben und in ihren Artikeln die Lage in den Vororten vermittelten. Meine Echo-Kollegen waren aufrechte, hochpolitische Journalistinnen und Journalisten, die sich der sauberen Recherche und der Aufdeckung von Missständen verpflichtet sahen. Dabei scheuten sie Tabuthemen wie die sexualisierte Gewalt in den Familien ebenso wenig wie den Versuch, über Aids zu informieren. Das HI-Virus begann sich damals – auch, weil verlässliche Informationen fehlten – in Südafrika dramatisch auszubreiten. Stundenlang saß die Redaktion zusammen, um politische Cartoons zu entwickeln, die auch die vielen Analphabeten in der Bevölkerung aufklären sollten. Es war ein beeindruckendes Engagement.
 
Und eine kurze Meldung zum Schluss: Freischreiberin Katrin Breer ist künftig Teil des „Kill your Darlings-Teams“. „Weil guter Journalismus weh tut“. Ist das so?
 
 

Lesungen, Vorträge

 
„Völlig utopisch“ ist der Titel eines hübschen Bandes mit Auslandsreportagen von Reportern des Netzes „Weltreporter.net“, aus dem auch gelesen wird. Und zwar von Marc Engelhardt, Philipp Hedemann sowie Julia Macher und Kerstin Zilm. Und dabei ist auch der Schauspieler Benno Führmann.
Termin: 24. September, 17.30 Uhr. Und der Ort: die GLS Bank in Berlin in der Schumannstraße 10.
Der Eintritt ist frei. Um Anmeldung wird unter berlin-aktuell-at-gls.de gebeten.
Nach der Lesung laufen die Weltreporter nicht weg, sondern sind gern für das eine und andere Gespräch zu haben.
 
„Freitag am Donnerstag“ nennt sich eine Vortragsreihe, die vom Magazin „Reportagen“ und dem Taschenhersteller „Freitag“ ausgetragen wird: „Die Reihe will Einblicke in eine der faszinierendsten Formen des Journalismus geben und den Austausch darüber fördern: REPORTAGEN Autorinnen und -Autoren beleuchten die Hintergründe ihrer Geschichten, erzählen über Hürden und hartnäckige Recherchen.“ Diesmal: Amrai Coen und Özlem Gezer zu „Traumberuf Reporterin“.
Nächster Termin: 25. September 2014, im FREITAG Store Hamburg. Anmelden kann man sich hier. Und bekommt dann auch ein Namensschild!
 

Recherchereisen

 
Die JournalistenAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltet ein EU-Hospitanzprogramm: „Einblicke in die Europa-Politik: EU-Hospitanzprogramm in Brüssel“ mit Einführungsseminar vom 07. – 14. November in Bonn und in Brüssel. Das wird versprochen: „Die Seminargruppe dringt in der EU-Hauptstadt tief in den EU-Dschungel vor, der gar nicht so unübersichtlich ist, wie viele meinen.“ Und: „Dazu kommen: Besuche in einer europäischen Redaktion, Gespräche mit Korrespondent/innen, Einblicke in die Arbeit einer EU-Vertretung eines deutschen Bundeslandes und ein Gastspiel in der EU-Greenpeace-Zentrale“. Einsendeschluss für eine mögliche Bewerbung ist der 30. September.
 
„Israel nach dem Gaza-Krieg“ ist der Titel einer Studienreise der Bundeszentrale für politische Bildung. „Journalistinnen und Journalisten aus Print, TV, Hörfunk und Online-Medien haben die Gelegenheit, sich aus erster Hand über die politischen und gesellschaftlichen Debatten in Israel nach den jüngsten Ausschreitungen zu informieren. Während der Reise werden die Auswirkungen des Gaza-Kriegs auf die israelische Zivilgesellschaft, aber auch auf die politische Führung beleuchtet. In Gesprächen und Begegnungen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik. Neben Diskussionen ergänzen themenorientierte Exkursionen das Programm“, schreibt der Veranstalter.
Reisetermin ist:7. bis 15. Dezember 2014. Dazu gibt es ein Vorbereitungstreffen in Berlin und das am 6. Dezember.
 
Und auch nach China führt der Weg: „Von April bis Juni 2015 können deutsche Journalisten, sponsored by Robert Bosch Stiftung, für drei Monate in China hospitieren, recherchieren, einen Uni-Kurs über die chinesische Gesellschaft und Medienlandschaft besuchen. Sämtliche Reisekosten werden übernommen. Obendrein gibts 1350 Euro im Monat.“ Einsendeschluss ist hier der 15. Oktober.
 
So. Das war's schon wieder. Nachher ist ja Wochenende. Falls Sie ein Wochenende haben! Freischreiber-Newsletter jedenfalls hat eines und geht da Äpfelpflücken. Und trinkt Federweißen. Und liest mal wieder ein gutes Buch. Und vielleicht auch eine Zeitung aus Papier …
 
In diesem Sinne
Ihre Freischreiber

 

FREISCHREIBER TERMINE
 

Hamburg

 
Der letzte Montag des Monats ist Stammtisch-Time und so findet der Hamburger-Stammtisch im September findet am 29.9., um 19 Uhr statt. Und darum geht es diesmal: Die Krise schlägt mit voller Härte zu, die Verlage, so scheint es, zerlegen sich derzeit selbst. Und was bedeutet das für uns Freie? Wir werden künftig viel stärker zusammenarbeiten müssen, in kleinen Teams, wenn nötig weltweit vernetzt, um weiterhin die schönen Geschichten erzählen zu können.
Das ist zumindest die These von Marcus von Jordan, dem Gründer und Chefredakteur von „Torial“, der unser Gast sein wird. Mit ihm diskutieren wir über neue, kollektive Arbeitsformen im Journalismus und die Möglichkeiten, die sein Netzwerk dafür bietet. Anschließend sitzen wir wie gewohnt bei Bier, Wein und Kamillentee beisammen.  
Unverrückbar fest steht der Ort: das traumhafte Oberstübchen in St. Pauli-Süd, dass die Adresse St. Pauli Fischmarkt 27 hat.
Achtung: Navis führen da gern mal in die Irre, Passanten schicken einen an den falschen Ort: Das Oberstübchen liegt nicht am Fischmarkt selbst, sondern ein Stück in Richtung Hafenstraße – obendrauf auf dem Pudel Club und nebenan von Park Fiction.
Über eine kurze Anmeldung freut sich bjoern.erichsen-at-gmail.com.
 

Und noch mal Hamburg

Mit 100 Euro Rabatt in die Zukunft? Filme machen wie für unsere „Zeit Kampagne“? Das lernt man in dem Multimedia-Workshop mit Uwe H. Martin und Oliver Eberhardt. Denn Schreiberinnen, Fotografen, VJs und Radioreporterinnen können im „Freelens Multimedia Workshop“ einen Projektfilm komplett selber produzieren – und dabei vom Handwerk der anderen profitieren.
Nicht zu verachten: Für Freischreiber gibt es Rabatt. Nämlich 100 Euro. Wenn man dann noch das Angebot „Halbe Miete“ der Hamburger Akademie für Publizistik nutzt – vielleicht noch einen Bildungsgutschein oder eine Bildungsprämie im Hut hat – werden es am Ende statt 960 Euro nur noch 430 Euro.
Nächster Termin: 20.10.- 25.10.2014.
Wer wissen will, was bisher auf diesem Workshops entstanden ist, hier wird man fündig.
Und wer Uwe H. Martin mal kennenlernen will, also einen Blick auf seine Film- und Herangehensweise werfen will, der wird hier glücklich.

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vom 12.09.2014

Liebe Kollegen und Kolleginnen,

Urlaub ist toll, Urlaub ist doof. Weil man sich so daran gewöhnen kann, mal alle viere grade sein zu lassen, weil man mal so richtig entspannen kann. Aber es bleibt so viel anderes liegen! Denn die Welt dreht sich ja weiter, während man da im Liegestuhl liegt und in den medienfreien Himmel schaut, der nicht abfragt, wie man ihn findet, im allgemeinen und speziellen. Also in die Hände gespuckt und wieder los gelegt.

Aber wo jetzt anfangen? Vielleicht mit einem Geständnis vom Kollegen Thilo Mischke? Ach, nehmen wir das mal: „Mir läuft der Schweiß den Rücken hinunter, wenn ich schreibe. Wirklicher, echter Schweiß. Manchmal auch aus der Achsel. Er läuft dann an der Hüfte hinunter und wird von meinem T-Shirt aufgefangen. Es ist ein sonderbarer Zustand, wenn ich schreibe. Jedoch: kein besonderer. Der Polizist, der einem Menschen hinterherläuft, er schwitzt. Ebenso der Bauarbeiter oder meine Mutter, die Buchhändlerin. Wenn sie Kisten mit Bestellungen schleppt und die Bücher ins Regal sortiert. Wir arbeiten. Unsere Körper sind angestrengt. Dieses Schreiben, dieses konzentrierte, fokussierte, dieses saubere, dieses Handwerk. Ich werde es vermissen.“

Sie wissen bestimmt, worum es geht: Um die neuen Leiden des Festangestellten – also die des vermutlich noch Festangestellten. Beim „Stern“ beispielsweise. Denn beim „Stern“ ist Thilo Mischke festangestellt. Noch! Denn nun ist alles anders: „Ich sehe weinende Menschen. Höre tränenerstickte Stimmen in diesen Redaktionen. Weil diese Menschen etwas gelernt haben, was nicht mehr gebraucht wird. Täglich wird es ihnen gesagt. Täglich werden es weniger. Gerade jetzt erlebe ich es täglich. Ich laufe durch dieses Haus am Baumwall. Vor einem Jahr habe ich hier angefangen. Visionen wurden verkündet. Und es waren Visionen, die mir gefallen haben.“

Und Schnitt! Cut! Und was ganz anderes! Denn wie ist dagegen Karsten Lohmeyer von „LousyPennies“ gestimmt!? Goldene Zeiten brechen seiner Meinung nach an! Alles wird gut! Und noch viel besser. Denn er sieht die Morgenröte des Journalismus neu aufsteigen und wagt schon mal so etwas wie einen Jahresrückblick auf 2014: „Jammern, immer nur jammern. Das kennen wir vom deutschen Journalismus im Jahr 2014. Das böse Internet. Die wegbrechenden Anzeigen. Zu viel PR und Marketing, zu wenig Journalismus. Schlechte Bezahlung, Ausbeutung und Entlassungswellen in den Verlagen… Auch wir bei LousyPennies sind nicht ganz dagegen gefeit, obwohl wir uns eigentlich als Mutmacherportal für alle Journalisten im digitalen Wandel verstehen. Zeit, einmal darüber zu reden, dass sich 2014 unglaublich viele Dinge getan haben, die Mut machen, die zeigen, dass es viele faszinierende Ideen gibt, die Aussicht auf Erfolg haben, sowohl wirtschaftlich als auch journalistisch. Denn während viele von uns gebannt darauf schauen, was da gerade mal wieder bei Spiegel, Stern und Focus abgeht, passieren die wirklich interessanten und inspirierenden Sachen abseits der alten Dickschiffe.“

Auch Dirk Lehmann möchte nicht zurück auf eines der „Dickschiffe“ und so gibt er dem Thilo folgendes mit auf dem Weg zu neuen Ufern: „Was mich am Selbstmitleid vieler Journalisten (hach, bin leider selbst einer) wundert, dass auf einem weiteren Missverständnis basiert: Wir erleben doch keine Krise des Journalismus (so viel Storytelling wie heute war doch nie!), sondern eine der Verlage. Und, sorry, auch wenn ich selbst als Journalist groß geworden bin, erst auf dem Affenfelsen an der Alster und später in Alcatraz an der Elbe. Um den Verlag tut es mir nicht leid. Er hatte eine gute Zeit. Sie ist vorbei. Jetzt kommt unsere Zeit!“

Unsere Zeit? Unsere Zeit! Ein Beispiel? Ein Beispiel: „Warm ist es im Festzelt am Wittelsbacherpark. Der Geruch von Leberkas und Brathendl liegt in der Luft, dazu Tabak, Bier und Blasmusik. Langsam füllt sich der Raum unter dem großen weißen Zeltdach. Menschen in Tracht nehmen an Biertischen unter Kunsttannen-Girlanden Platz. Wohin ich auch schaue: Dirndl, Lederhosen, Wadlwärmer, Trachtenschmuck. Fesche Madln und gestandene Mannsbilder, davon viele mit Bart, Bauch und Bizeps.“ So startet ein neuer, lesens- und betrachtenswerter Beitrag von „Siehdiewelt.com".

Noch ein Beispiel? Noch ein Beispiel: „Heimatzeitung, das Wort ist kuschelig wie ein Flanellhemd. Was bedeutet es? Als ich jetzt meine eigene Heimatzeitung besucht habe, den Burgdorfer Anzeiger, da sprang mich gleich ein neues Lieblingswort im Blatt an: Kleinkaliberkönigin. Die Schützenfestsaison ist gerade rum in Niedersachsen, die Themenlage ist ein bisschen dünn. Aber die neue Kleinkaliberkönigin ist allemal einen Vierspalter wert. Es vergeht kein Kartoffelfest, ohne dass darüber berichtet wird. Alles hier kommt mir bekannt vor, ich weiß ja: Der Samstag heißt hier Sonnabend. Die Dörfer heißen Otze, Uetze, Schwüblingsen und Hülptingsen. Es sind die Orte, durch die ich als Schülerin jedes Wochenende gezuckelt bin, um meine Lokaltermine zu machen. Ich genieße es jetzt dieses Wortwalz-Gefühl der vergangenen Wochen mal abzuschütteln, dass man ständig versucht Lokaljournalismus zu machen ohne sich vor Ort auszukennen. Hier kenne ich mich aus, aber ich merke auch, wie die Zeit mich verändert hat.“ Ein Auszug aus dem schönen Blog von Wortwalzerin Jessica Schober, die nun seit einigen Wochen unterwegs ist. Vielleicht sollte auch der Thilo mal seine Wanderschuhe

 

Dies und Das

 

Sebastian Brinkmann empfiehlt diverse Tools, um die Echtheit von Bildern zu überprüfen, die „Neue Züricher Zeitung“ fordert für die Schweiz eine neue Journalismusförderung und die neue Wuppertaler Zeitung „talwärts“ vermeldet, dass sie ihren Vertrieb ausbauen kann. Daniel Drepper von „Correctv“ wiederum wehrt sich mit Händen und Füßen gegen den Vorwurf, er würde mit seinem Recherchepool freien Journalisten die Arbeit wegnehmen: „Wir sind gemeinnützig, wir arbeiten nicht für Medien, sondern für die Gesellschaft. Damit nehmen wir freien Kollegen nicht die Arbeit weg: Die Stories wären ohne uns nie recherchiert worden.“ Ansonsten heißt es hemdsärmelig: „Wer als freier Journalist recherchiert, zahlt drauf. So einfach ist das.

Zitat der Woche dürfte aber das von Bernd Ziesemer, werden, denn der langjährige Chefredakteur vom „Handelsblatt“ meint: „Eine Gefahr für unabhängige Medien entsteht erst dann, wenn sie anfangen, ihre Unabhängigkeit zu verlieren.“ Wir widersprechen da ausdrücklich nicht.

 

Freischreiberiges

 

„Ist Bloggen in Deutschland ein Randthema? Lässt sich mit Bloggen Geld verdienen? Was braucht man, um einen Blog aufzusetzen? Geht es mehr um die Person oder die Sache?“ Alles Fragen, die Freischreiber Daniel Bouhs in einem kleinen Filmbeitrag zu beantworten sucht.

Freischreiberin Gemma Pörzgen dagegen erzählt, wie es kam, dass die regimefreundliche Beilage „Russland heute“ von der „SZ“ zum „Handelsblatt“ wechselt und wer das wie einschätzt.

Unbedingt empfehlenswert ein sehr unterhaltsames Gespräch mit Freischreiber Stefan Schomann über die Höhe- und Tiefpunkte des Reisejournalismus: „Ich war unlängst in den albanischen Bergen unterwegs. Auf dem Hinweg hatte ich einen geländegängigen Wagen mit Fahrer. Das war angenehm und effizient, aber darüber gibt es nichts zu berichten. Auf dem Rückweg bin ich mit einem Sammelbus gefahren, der Einheimische und Touristen entlang der Strecke aufliest und über halsbrecherische Pässe karrt. Das war weit weniger bequem, hat dreimal so lange gedauert, und es konnte einem schon mulmig werden dabei. Der Fahrer telefonierte mit der Linken und schwang mit der Rechten das Lenkrad. Wenn er nicht telefonierte, rauchte er. Ich überlegte mir, was wohl geschehen würde, wenn ihn nun beim Telefonieren der Drang nach einer Zigarette überkäme. Ich habe den Gedanken dann aber wieder verworfen – so etwas denken Reporter sich doch nur aus, damit der Leser sich ein bisschen um sie sorgt. Aber wenig später tat er genau das und lenkte die Kiste dann mit beiden Ellbogen am Abgrund entlang. Darüber lässt sich schreiben! Der schnellste Weg ist nie der ergiebigste. Umgekehrt ist es zum Beispiel immer lohnend, mit Tieren unterwegs zu sein. Ob man nun reitet, mit einem Hund spazieren geht, mit einem Esel herumzieht – Tiere tragen hervorragend zur Entschleunigung bei.“

 

Preise

Ausgeschrieben ist erneut der „Medienpreis Politik“ des Deutschen Bundestages: „Dieser würdigt hervorragende publizistische Arbeiten – sei es in Tages- oder Wochenzeitungen, in regionalen oder überregionalen Medien, in Printmedien, Online- Medien oder in Rundfunk und Fernsehen–, die zu einem vertieften Verständnis parlamentarischer Praxis beitragen und zur Beschäftigung mit den Fragen des Parlamentarismus anregen. Die Auszeichnung ist mit 5.000 Euro dotiert und wird vom Präsidenten des Deutschen Bundestages verliehen.“

Für Auslandskorrespondenten und -reporter deutschsprachiger Medien wiederum eignet sich diese Ausschreibung: der mit 15.000 Euro dotierte „Reemtsma Liberty Award 2015“.

Dazu schreiben die Preisgeber: „Seit 2007 würdigt Reemtsma mit dem Liberty Award den herausragenden journalistischen Einsatz von deutschsprachigen Auslandskorrespondenten. Gewürdigt werden Korrespondenten und Reporter, die Außergewöhnliches für die Freiheit leisten – die Freiheit der Medien, der Gesellschaft und damit für die Freiheit eines jeden Einzelnen. Der Preisträger wird aus allen Einreichungen von einer unabhängigen Jury ausgewählt. Dabei wird der „Reemtsma Liberty Award“ von dem Verständnis getragen, dass Menschenrechte und Freiheit das Fundament von Demokratie, Selbstbestimmung und Menschenwürde sind. Kandidatenvorschläge für den „Reemtsma Liberty Award“ können von jedermann eingereicht werden, der herausragende Artikel, Radio- oder Fernsehbeiträge als preiswürdig erachtet.“

Bewerbungsfrist ist der 15. Oktober 2014.

 

Ausgeschrieben ist ab jetzt der Posten eines Stadtschreibers oder einer Stadtschreiberin in der tschechischen Pilsen: „Deutschsprachige Autorinnen und Autoren, die bereits schriftstellerische oder journalistische Veröffentlichungen vorzuweisen haben, sind eingeladen, sich um den Posten des Stadtschreibers/der Stadtschreiberin in Pilsen zu bewerben und während des dortigen Aufenthalts im Kulturhauptstadtjahr einem Internetblog zu berichten. Insbesondere werden solche Autorinnen und Autoren angesprochen, die sich auf die Wechselseitigkeiten von Literatur und historischem Kulturerbe der Stadt und der Region einlassen wollen. Bewerbungsschluss ist der 31.10.2014. Über die Vergabe der Stadtschreiberstelle, verbunden mit einem monatlichen Stipendium von 1.300 Euro für fünf Monate (März bis Juli 2015), einer kostenlosen Wohnmöglichkeit in Pilsen und Reisemitteln, entscheidet bis Ende Januar 2015 eine qualifizierte Jury.“ Ausrichter ist das „Deutsche Kulturforum östliches Europa“.

 

Recherchereisen

 

Ein wenig ranhalten muss man sich, wenn man mit „n-ost“ die Republik Moldau besuchen will: „Die Republik Moldau wenige Wochen vor den Parlamentswahlen dort steht im Fokus einer 6-tägigen n-ost-Recherchereise Anfang November. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts ist diese Wahl und die Beschäftigung mit dem Land besonders aktuell. Die Reise wird konzipiert und organisiert von unserem Mitglied und Moskau-Korrespondenten Oliver Bilger. Ein Recherchetag in Transnistrien und ein Vernetzungstreffen mit lokalen Journalisten und Medien gehören zum Programm.

Bewerbungsfrist endet am Montag, den 15. September.

 

So. Das war's schon wieder. Eigentlich war es gar nicht so schlimm. Das Eintauchen in die Medienwelt, das Sichten, Zitieren, Nachdenken. Nächste Woche sind wir wieder da. Versprochen.

 

In diesem Sinne

Ihre Freischreiber

FREISCHREIBER TERMINE
 

Hamburg

Mit 100 Euro Rabatt in die Zukunft? Filme machen wie für unsere „Zeit Kampagne“? Das lernt man in dem Multimedia-Workshop mit Uwe H. Martin und Oliver Eberhardt. Denn Schreiberinnen, Fotografen, VJs und Radioreporterinnen können im „Freelens Multimedia Workshop“ einen Projektfilm komplett selber produzieren – und dabei vom Handwerk der anderen profitieren.

Nicht zu verachten: Für Freischreiber gibt es Rabatt. Nämlich 100 Euro. Wenn man dann noch das Angebot „Halbe Miete“ der Hamburger Akademie für Publizistik nutzt – vielleicht noch einen Bildungsgutschein oder eine Bildungsprämie im Hut hat – werden es am Ende statt 960 Euro nur noch 430 Euro.

Nächster Termin: 20.10.- 25.10.2014.

Wer wissen will, was bisher auf diesem Workshops entstanden ist, hier wird man fündig.

Und wer Uwe H. Martin mal kennenlernen will, also einen Blick auf seine Film- und Herangehensweise werfen will, der wird hier glücklich.